Höllenflut
schaute gelegentlich in den
Rückspiegel und stellte nicht ohne Stolz fest, daß die beiden
Busse Mühe hatten mitzukommen. »Hoffentlich zerschießen sie
mir nicht die Reifen - Bei so einem Wagen sind die nicht billig.«
»War das ernst gemeint, als du zu Qin Shang gesagt hast, du
hättest einen Killertrupp auf ihn angesetzt?«
Pitt grinste bösartig. »Nur ein Bluff, aber das weiß er ja nicht.
Nichts macht mir mehr Spaß, als Männer wie Qin Shang, die
daran gewöhnt sind, daß alle nach ihrer Pfeife tanzen, ein
bißchen zu quälen. Der soll ruhig nachts die Decke anstarren
und sich fragen, ob jemand draußen lauert und nur darauf
wartet, daß er ihm eine Kugel in den Leib jagen kann.«
»Und was hat es mit diesem Umweg auf sich?«
»Ich glaube, ich habe Qin Shangs wunden Punkt gefunden,
seine Achillesferse, wenn du das Klischee verzeihst. So
unnahbar er auch wirkt, aber es gibt da eine schwache Stelle.
Und genau da muß man ansetzen.«
Julia schlug den Mantel über ihre bloßen Beine. Jetzt, am
späten Abend, war es empfindlich kühl. »Offenbar hast du aus
seinen Worten irgendwas herausgehört, was mir entgangen ist.«
»Seine Worte lauteten, soweit ich mich entsinne: ›Der
sehnlichste Wunsch meines Lebens‹.«
Neugierig schaute sie ihn an, doch er wandte den Blick nicht
von der Straße. »Er hat es im Zusammenhang mit einer riesigen
Ladung chinesischer Kunstschätze gesagt, die auf einem Schiff
verschwunden sind.«
»Genau.«
»Er besitzt mehr chinesische Kunstschätze als jeder andere
Mensch auf dieser Welt. Was reizt ihn so an einem Schiff, auf
dem sich ein paar weitere Artefakte aus dem alten China
befinden?«
»Es reizt ihn nicht nur, du Schönste unter den Weibern. Qin
Shang ist besessen, wie alle Männer, die einen verlorenen
Schatz suchen. Egal, wieviel Macht und Reichtum er erringen
wird, er wird keinen Frieden finden, solange er nicht jede seiner
kostbaren Repliken gegen das Original ausgetauscht hat. Etwas
zu besitzen, das kein anderer Mensch auf der Welt besitzt, das
ist für Qin Shang die höchste Erfüllung seines Lebens. Ich habe
Männer wie ihn kennengelernt. Der gibt notfalls dreißig Jahre
seines Lebens dran, bis er das Schiff und seinen Schatz
gefunden hat.«
»Aber wie geht man die Suche nach einem Schiff an, das vor
fünfzig Jahren verschwunden ist?« fragte Julia. »Wo beginnt
man?«
»Zuerst«, sagte Pitt lässig, »fährt man sechs Straßen weiter
und klopft an eine Tür.«
26
Pitt steuerte den Duesenberg über die schmale Zufahrt
zwischen den efeuüberwucherten Ziegelmauern zweier Häuser.
Er hielt vor einer großem, Remise, an die sich ein weitläufiger,
überdachter Innenhof anschloß.
»Wer wohnt hier?« fragte Julia.
»Ein höchst interessanter Typ«, erwiderte Pitt. Er deutete auf
einen großen, bronzenen Türklopfer in Form eines Segelschiffs.
»Los, klopf mal, wenn du's schaffst.«
»Wenn du's schaffst?« Zögernd streckte sie die Hand nach
dem Türklopfer aus. »Ist da ein Trick dabei?«
»Nicht das, was du meinst. Nur zu, versuch ihn
hochzuheben.«
Doch bevor Julia den Klopfer berühren konnte, wurde die Tür
aufgerissen, und ein mächtiger, kugelrunder Mann in einem
burgunderroten Seidenpyjama mit Paisley-Muster und
passendem Morgenmantel stand im Eingang. Julia keuchte, trat
einen Schritt zurück und stieß gegen Pitt, der hell auflachte.
»Er schafft es immer wieder.«
»Schafft was?« fragte der Fette.
»Die Tür zu öffnen, bevor die Gäste klopfen können.«
»Ach, das meinst du.« Der Schwergewichtige winkte ab.
»Sobald jemand über die Auffahrt kommt, schellt eine Glocke.«
»St. Julien«, sagte Pitt. »Entschuldige den Besuch zu so später
Stunde.«
»Unsinn!« rief der Mann, der an die vier Zentner wiegen
mochte. »Wer ist die bezaubernde Dame?«
»Julia Lee, darf ich vorstellen: St. Julien Perlmutter, Gourmet,
Sammler edler Weine und Besitzer der weltweit größten
Bibliothek über Schiffswracks.«
Perlmutter verbeugte sich so tief, wie es sein Bauch zuließ,
und küßte Julia die Hand. »Ist mir stets ein Vergnügen, wenn ich
eine Freundin von Dirk kennenlernen darf.« Er trat zurück und
deutete mit schwungvoller Geste hinter sich, so daß der Ärmel
seines seidenen Morgenmantels knatterte wie eine Flagge bei
steifer Brise. »Steht nicht da draußen in der Kälte herum.
Kommt rein, kommt rein. Ich wollte gerade eine Flasche
vierzigjährigen Barros-Port aufmachen. Leistet mir bitte
Gesellschaft.«
Julia trat aus dem
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