Höllenflut
umfriedeten Innenhof, in dem einst die
Kutschen angespannt worden waren, in die Remise und
betrachtete ungläubig die Tausende von Büchern, die
buchstäblich jeden Quadratzentimeter ausfüllten. Viele standen
ordentlich auf schier endlosen Regalen. Andere waren entlang
der Wände, auf Treppenstufen und Baikonen
übereinandergestapelt. Stellenweise lagerten sie so dicht, daß
man kaum durchkam.
Im Laufe von fünfzig Jahren hatte St. Julien Perlmutter die
beste und umfangreichste Literatursammlung
zusammengetragen, die es über alte Schiffe und die Geschichte
der Seefahrt gab. Um seine einzigartige Bibliothek beneideten
ihn sämtliche Seefahrtsarchive der Welt. Was er nicht in seinen
Besitz bringen konnte, seien es Logbücher oder Frachtpapiere,
kopierte er peinlich genau. Seine Forscherkollegen hatten auf
die Feuergefahr verwiesen und ihn angefleht, er möge sein
gewaltiges Archiv per Computer erfassen, doch er legte Wert
darauf, daß alles so blieb, wie es war. Er wollte Bücher haben,
keine On-Line-Texte.
Großzügig stellte er sie jedem kostenlos zur Verfügung, der
bei ihm vorsprach und Auskunft über ein bestimmtes
Schiffswrack haben wollte. In all den Jahren, die er ihn nun
schon kannte, hatte Pitt nie erlebt, daß Perlmutter jemanden
abwies, der sich sein umfassendes Wissen zunutze machen
wollte.
Aber nicht nur die krumm und schief stehenden Bücherstapel
waren ein denkwürdiger Anblick, sondern auch ihr Besitzer.
Julia starrte ihn unverhohlen an. Sein Gesicht, gerötet vom
übermäßigen Genuß edler Speisen und Getränke, dem er ein
Leben lang gefrönt hatte, war unter den wild wuchernden,
lockigen grauen Haaren und dem dichten, mächtigen Bart kaum
zu sehen. Er hatte himmelblaue Augen und eine kleine rote
Stupsnase. Der Mund war unter dem dicken Schnurrbart mit den
hochgezwirbelten Spitzen versteckt. Er war zwar dick, aber
nicht wabbelig. Eher massig gebaut. Die meisten Menschen, die
ihn kennenlernten, hielten ihn für jünger, als er aussah. Aber St.
Julien Perlmutter war einundsiebzig Jahre alt und kerngesund.
Perlmutter war ein guter Freund von Senator George Pitt und
kannte Pitt quasi von Geburt an. Im Lauf der Jahre hatten sich
daraus fast familiäre Bande entwickelt, so daß Perlmutter für
Pitt eine Art Lieblingsonkel war. Er bat Pitt und Julia zu einer
großen, vergitterten Lukenabdeckung, die restauriert, lackiert
und auf Hochglanz poliert war und ihm als Eßtisch diente. Dann
trug er drei Kristallgläser auf, die einst auf dem italienischen
Luxusliner Andrea Doria den Speisesaal Erster Klasse geziert
hatten.
Julia musterte das auf dem Glas eingravierte Schiff, als
Perlmutter den alten Portwein einschenkte. »Ich dachte, die Andrea Doria liegt am Meeresgrund.«
»So ist es«, sagte Perlmutter und zwirbelte die eine
Schnurrbartspitze hoch. »Dirk ist vor fünf Jahren zum Wrack
getaucht und hat eine Kiste Weingläser mitgebracht, die er mir
großzügigerweise überließ. Sagen Sie mir bitte, was Sie von
dem Port halten.«
Julia, die sich geschmeichelt fühlte, weil ein Kenner seines
Schlages ihre Meinung hören wollte, trank einen Schluck von
dem rubinroten Naß. Entzückt verzog sie den Mund. »Er
schmeckt wunderbar.«
»Gut, gut.« Perlmutter schaute Pitt an, als habe er einen
Penner vor sich. »Dich frage ich gar nicht erst, da du ja eher eine
Vorliebe fürs Profane hast.«
Pitt tat beleidigt. »Du würdest doch einen guten Port nicht mal
erkennen, wenn du darin ersäufst. Ich hingegen habe ihn schon
im Babyfläschchen bekommen.«
»Wieso habe ich dich überhaupt reingelassen?« ächzte
Perlmutter.
Julia grinste über das Getue. »Geht ihr zwei immer so
miteinander um?«
»Nur, wenn wir uns begegnen«, sagte Pitt lachend.
»Was führt dich mitten in der Nacht hierher?« fragte
Perlmutter, während er Julia zuzwinkerte. »Vermutlich bist du
nicht meiner klugen Witze wegen gekommen.«
»Nein«, erwiderte Pitt. »Ich möchte wissen, ob du schon
jemals von einem Schiff gehört hast, das um das Jahr 1948 mit
einer Ladung Kunstschätze von China aus in See gestochen und
seither verschollen ist.«
Perlmutter hielt das Weinglas vor seine Augen und drehte es
leicht im Licht. Er saß eine Zeitlang versonnen da und
durchforstete sein Gedächtnis. »Ich meine mich zu entsinnen,
daß es sich bei dem Schiff um die Princess Dou Wan handelte.
Sie ging irgendwo vor der südamerikanischen Küste mit Mann
und Maus unter. Weder vom Schiff noch von der Besatzung
wurde jemals
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