Höllenflut
einen Schritt getan, als Julia ihr den Ellbogen
in den Mund rammte, worauf ihre Lippe aufplatzte und helles
Blut auf ihr rotes Seidenkleid tropfte. »Du Miststück!« stieß
Julia aus. »Das hier ist für die Wahrheitsdroge.« Und wieder
holte sie kurz aus und hieb May Ching in den Bauch, so daß sie
in die Knie sank und keuchend um Atem rang. »Und das ist für
die Fesseln und dafür, daß du mich halbnackt von Männern hast
begaffen lassen.«
»Erinner' mich dran, daß ich sie niemals auf die Palme
bringen darf«, sagte Pitt grinsend.
Julia massierte sich die Hände und blickte ihn müde und
betroffen an. »Wenn wir sie doch nur dabei ertappt hätten, wie
sie die illegalen Einwanderer abtransportieren. Wer weiß, wie
viele Menschenleben wir hätten retten können. Jetzt ist es zu
spät.«
Pitt schloß sie vorsichtig in die Arme, darauf bedacht, daß er
ihr nicht weh tat. »Hast du es nicht mitbekommen?«
»Was?« sagte sie. »Was soll ich mitbekommen haben?«
Er deutete nach unten auf den Zug. »In den Güterwaggons
stecken über dreihundert Personen.«
Darauf war sie nicht gefaßt. Sie zuckte zusammen, als hätte er
ihr eine Ohrfeige versetzt. Dann starrte sie verständnislos auf
den Zug. »Sie waren also hier? Und ich habe sie nicht
gesehen?«
»Wie bist du in die Raffinerie gekommen?« fragte er sie.
»Ich bin heimlich auf den Lastkahn gesprungen, als er von der Sung Lien Star abgelegt hat.«
»Dann warst du die ganze Zeit unmittelbar über ihnen. Sie
waren in einem Unterwassercontainer untergebracht, den man
von China nach Sungari befördert hat. Dort hat man ihn dann
über Gleitschienen unter den Lastkahn gehängt und
hierhergeschafft.«
»Wir müssen sie befreien, bevor der Zug abfährt.« Mit
einemmal klang sie forsch.
»Keine Sorge«, sagte Pitt grinsend. »Der Zug fährt nicht mehr
ab.«
Sie hatten gerade die Güterwaggons aufgeschlossen und
halfen den illegalen Einwanderern beim Aussteigen, als die INSAgenten und die Männer der Küstenwache am Kai eintrafen und
sie ablösten.
38
Präsident Dean Cooper Wallace kam hinter seinem
Schreibtisch hervor, als Qin Shang das Oval Office betrat. Er
streckte ihm die Hand entgegen. »Mein lieber Qin Shang, schön,
Sie wiederzusehen.«
Qin Shang griff mit beiden Händen zu. »Ich freue mich, daß
Sie mich trotz Ihrer vielen Verpflichtungen empfangen können.«
»Unsinn, ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
»Brauchen Sie mich noch?« fragte Morton Laird, der Qin
Shang vom Empfangsraum hierhergebracht hatte.
»Bleiben Sie bitte, Morton«, sagte der Präsident. »Ich möchte,
daß Sie zugegen sind.«
Der Präsident geleitete Qin Shang zu zwei Sofas, die sich an
einem Couchtisch gegenüberstanden, und nahm Platz. »Ich
möchte Sie darum bitten, daß Sie Ministerpräsident Wu Kwong
meinen tiefsten Dank für seinen großzügigen Beitrag zu meiner
Wahlkampfkasse ausrichten. Und versichern Sie ihm bitte, daß
einer weiteren engen Zusammenarbeit unserer beider Länder
nichts im Wege steht.«
»Ministerpräsident Wu Kwong wird darüber sehr erfreut
sein«, sagte Qin Shang aufgeräumt.
Dann kam der Präsident zur Sache. »Was kann ich für Sie tun,
Qin Shang?« fragte er.
»Wie Sie wissen, bezeichnen gewisse Kongreßabgeordnete
mein Heimatland als totalitären Staat und werfen uns Verstöße
gegen die sogenannten Menschenrechte vor. Derzeit bereiten sie
einen Gesetzentwurf vor, mit dem man uns den
Meistbegünstigtenstatus entziehen will. Ministerpräsident Wu
Kwong befürchtet, daß sie möglicherweise eine Mehrheit für
diesen Antrag gewinnen könnten.«
»Da können Sie ganz beruhigt sein«, sagte der Präsident
lächelnd- »Ich werde bei jedem Beschluß, der den Handel
zwischen unseren Ländern gefährdet, von meinem Vetorecht
Gebrauch machen. Außerdem habe ich mehrmals darauf
hingewiesen, daß für beide Seiten vorteilhafte
Handelsbeziehungen besser als alles andere dazu geeignet sind,
die Frage der Menschenrechte zu lösen.«
»Können Sie mir ihr Wort darauf geben, Mr. President?«
fragte Qin Shang. Sein Ton war so herrisch, daß Stabschef Laird
einen Moment lang mißbilligend aufblickte.
»Bestellen Sie Ministerpräsident Wu Kwong, daß ich mich
persönlich dafür verbürge.«
Laird wunderte sich inzwischen nur noch über den
versöhnlichen Ton, der hier angeschlagen wurde, obwohl es
wahrlich genug Reibungspunkte gab.
»Was mich außerdem betrübt«, sagte Qin Shang, »sind die
Schikanen von Seiten Ihrer Küstenwache und der
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