Höllenflut
daß sich unsere
Meinungsverschiedenheiten dadurch aus der Welt schaffen
ließen?«
Wong warf einen Blick hinab auf die stählern schimmernden
Gleise zwischen dem hintersten Güterwagen und dem
Betonprellbock. »Ja, ein ausgezeichneter Vorschlag. Ich glaube,
das würde Qin Shang für seinen Verlust entschädigen. Aber
machen Sie bitte schnell. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.
Wir müssen schleunigst von hier weg.«
Loo spannte die Muskeln an und drückte die Arme durch.
Julia schrie auf. Wong und May Ching warteten voller
Vorfreude. Keiner bemerkte den großen Mann in der schlecht
sitzenden Uniform, der lautlos hinter ihnen die Treppe
herunterkam. »Entschuldigt die Störung«, sagte Pitt, »aber keine
falsche Bewegung, sonst könnt ihr eure grauen Zellen im
nächsten Landkreis einsammeln.«
Alle drei fuhren herum, als die Stimme hinter ihnen ertönte.
Ihre Mienen sprachen für sich. Loo wurde blaß und blickte ihn
ungläubig an. May Chings Gesicht erstarrte vor Schreck. Wong
betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier.
»Wer sind Sie?« fragte er.
Pitt beachtete ihn nicht. Er wandte sich statt dessen an Loo.
»Setz die Frau ab, und zwar sachte.« Und damit Loo begriff, daß
er es ernst meinte, rammte er ihm seinen .45 er an die
Schädelbasis.
»Nicht schießen, bitte nicht schießen«, bettelte Loo ängstlich,
ließ Julia langsam herunter und stellte sie auf die Füße.
Julia sank in die Knie. Erst jetzt sah Pitt die blutigen
Abschürfungen an ihren Hand- und Fußgelenken. Ohne auch nur
einen Moment zu zögern, hieb er Loo den Lauf des Colts an die
Schläfe und sah grimmig und voller Genugtuung zu, wie der
Triadenführer die Treppe hinabstürzte.
Unmöglich, dachte Julia, als sie die Stimme hörte. Dann
blickte sie auf und sah die leuchtendgrünen Augen und das
schiefe Grinsen. »Dirk!« murmelte sie benommen, streckte die
Hand aus und strich über den Verband auf seiner gebrochenen
Nase. »O mein Gott, du bist hier. Wie, wie um alles auf der
Welt...?«
Pitt hätte sie am liebsten auf der Stelle in die Arme
genommen, doch er durfte Wong nicht aus den Augen lassen. Er
sah dessen Miene und wußte, daß Qin Shangs Chefaufseher nur
auf die erstbeste Gelegenheit zum Losschlagen lauerte. Und
seine Menschenkenntnis sagte ihm auch, daß May Ching
meinte, sie habe nichts mehr zu verlieren, nachdem ihr Boß
zerschmettert am Fuß der Treppe lag. Sie starrte ihn so
haßerfüllt an, wie er es noch bei keiner Frau erlebt hatte. Pitt
behielt sie im Auge, während er den Colt auf Wongs Stirn
richtete. »Ich bin zufällig vorbeigekommen und dachte, ich sag
mal kurz hallo.«
»Sie heißen Dirk?« stieß Wong mit gepreßter Stimme aus.
»Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie Dirk Pitt sind?«
»Das will ich doch hoffen. Und wer sind Sie?«
»Ki Wong, und die Dame neben mir heißt May Ching. Was
haben Sie mit uns vor?«
»Ki Wong«, sagte Pitt nachdenklich. »Irgendwie kommt mir
der Name bekannt vor.«
Julia half ihm auf die Sprünge. Vorsichtig, damit sie ihn nicht
ablenkte oder in seiner Bewegungsfreiheit einschränkte, schlang
sie ihm von hinten die Arme um die Taille und zog sich langsam
an ihm hoch. »Er ist Qin Shangs Chefaufseher«, sagte sie. »Er
verhört die Immigranten und entscheidet darüber, wer
weiterleben darf und wer zum Tode verurteilt wird. Er war es,
der mich auf der Indigo Star gefoltert hat.«
»Ein liebenswerter Zeitgenosse sind Sie nicht gerade,
stimmt's?« meinte Pitt im Plauderton. »Ich hatte die zweifelhafte
Freude, Ihr Werk bewundern zu dürfen.«
Unverhofft und ohne jede Vorwarnung tauchte ein Wachmann
auf. Viel zu spät sah Pitt May Chings triumphierenden Blick, als
sie den Uniformierten bemerkte. Und als er im letzten
Augenblick herumfuhr, stürzte sich Wong auf ihn. May Ching
schrie auf.
»Töte ihn! Töte ihn!«
»Der Damen Wunsch ist mir stets Befehl«, sagte der
Uniformierte ungerührt. Der .45er Magnum in seiner Hand
zuckte. Wie ein Donnerschlag hallte der Schuß von den Wänden
wider. Wong, den die Kugel unmittelbar über der Nasenwurzel
traf, wurde zurückgeschleudert, stürzte mit ausgebreiteten
Armen rücklings über das Geländer und schlug zwischen den
Gleisen auf.
»Ich hoffe doch, daß das jetzt richtig war«, sagte Giordino.
»Vor allem höchste Zeit«, versetzte Pitt, dem das Herz im
Halse schlug.
»Hol euch der Teufel!« schrie May Ching. Sie stürzte sich auf
Pitt und wollte ihm mit ihren langen Nägeln die Augen
auskratzen.
Sie hatte kaum
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