Höllenflut
wichtiges Glied dieser internationalen Schlepperorganisation
zerschlagen werden konnte.«
»Die bauen sich einfach woanders etwas Neues auf«, sagte
Julia und unterdrückte ein Gähnen.
Russell zuckte die Achseln, »Zu schade, daß wir nicht genug
Beweise haben, um Qin Shang vor einen internationalen
Gerichtshof zu zitieren.«
Plötzlich war Julia wieder hellwach. »Was sagen Sie da?
Nicht genug Beweise? Ich kann beweisen, daß dieses angebliche
Kreuzfahrtschiff voll illegaler Ausländer in Diensten der Qin
Shang Maritime Limited fährt. Das und die Leichen, die im
Orion Lake liegen, sollten reichen, um Qin Shang anzuklagen
und zu verurteilen.«
Harper schüttelte den Kopf. »Wir haben es nachgeprüft. Das
Schiff steht offiziell in Diensten einer dubiosen koreanischen
Reederei. Und was das Anwesen am Orion Lake angeht, so
haben Shangs Vertreter zwar sämtliche Verträge ausgehandelt,
aber laut Grundbucheintragung befindet es sich im Besitz einer
in Vancouver, Kanada, ansässigen Beteiligungsgesellschaft
namens Nanchang Investments. Daß ausländische Unternehmen
diverse Briefkastenfirmen in verschiedenen Ländern gründen, ist
durchaus nichts Ungewöhnliches, aber dadurch ist es sehr
schwer, die Spur zur Mutterfirma und ihren Besitzer, die
Direktoren und die Anteilseigner zu verfolgen. Auch wenn es
sich wie eine faule Ausrede anhören mag, aber aufgrund der
Beweislage würde Qin Shang von keinem internationalen
Gerichtshof schuldig gesprochen werden.«
Julia schaute geistesabwesend aus dem Fenster. Zwischen
zwei Häusern hindurch konnte sie das düstere Gemäuer von
Alcatraz sehen, dem einstmals berüchtigten, aber jetzt
stillgelegten Gefängnis. »Dann war also alles umsonst«,
versetzte sie empört. »Der Tod der vielen unschuldigen
Menschen im See, all die Qualen, die ich auf mich genommen
habe, Pitts tollkühner Einsatz, die Razzia auf das Anwesen. Qin
Shang wird sich ins Fäustchen lachen und weitermachen wie
bisher, so als wäre das Ganze nur eine kleine Unannehmlichkeit
gewesen.«
»Ganz im Gegenteil«, beruhigte sie Harper. »Ihre
Erkenntnisse sind unschätzbar wertvoll. Leicht wird es nicht
werden, und es wird noch viel Zeit kosten, aber früher oder
später werden wir Qin Shang und seinesgleichen das Handwerk
legen.«
»Peter hat recht«, fügte Russell hinzu. »Wir haben bislang nur
ein kleines Scharmützel gewonnen, aber immerhin haben wir
dem Kraken dabei einen Arm abgehauen. Und wir haben neue
Erkenntnisse über die Verbindungen zwischen der chinesischen
Politik und diesen Schlepperorganisationen gewonnen. Unsere
Aufgabe ist etwas einfacher geworden, nachdem wir nun
wissen, auf welch verschlungene Wege wir unser Augenmerk
richten müssen.«
Harper ergriff seinen Aktenkoffer und ging zur Tür. »Wir
brechen jetzt auf, damit Sie sich endlich ausruhen können.«
Russell tätschelte ihr sanft die Schulter. »Ich wünschte, ich
könnte Sie für längere Zeit in Urlaub schicken, aber Sie werden
in unserer Zentrale in Washington erwartet, sobald Sie wieder
auf die Beine kommen.«
»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten«, sagte Julia.
Beide Männer blieben bei der Tür stehen. »Heraus damit«,
sagte Russell.
»Ich möchte meinen Eltern hier in San Francisco einen kurzen
Besuch abstatten, aber ansonsten würde ich nächste Woche gern
wieder zum Dienst antreten. Ich bitte hiermit offiziell darum,
daß ich auch künftig zu den Ermittlungen gegen Qin Shang
herangezogen werde.«
Russell schaute Harper an, doch der lächelte lediglich. »Das
versteht sich wohl von selbst«, sagte Russell. »Was glauben Sie
denn, weshalb man Sie in Washington braucht? Weil Sie besser
über Shangs Schlepperorganisation Bescheid wissen als jeder
andere Mitarbeiter des INS.«
Als die beiden gegangen waren, kämpfte Julia ein letztes Mal
gegen die bleierne Müdigkeit an. Sie griff zu dem auf dem
Nachttisch stehenden Telefon und wählte die
Fernsprechauskunft. Nachdem sie die gewünschte Nummer
erfahren hatte, rief sie in der NUMA-Zentrale in Washington an
und erkundigte sich nach Dirk Pitt.
Sie wurde zu seiner Sekretärin durchgestellt, die ihr mitteilte,
daß Pitt in Urlaub sei und seinen Dienst bislang noch nicht
wieder angetreten habe. Julia legte auf und ließ den Kopf auf
das Kissen sinken. Sie kam sich eigenartig vor, wie verwandelt.
Ich führe mich auf wie ein billiges Flittchen, dachte sie, stelle
einem Mann nach, den ich kaum kenne. Warum um alles auf der
Welt, fragte sie sich,
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