Höllenflut
die Gestalt, die neben dem
alten Automobil stand, und fragte sich, was in diesem Mann
vorgehen mochte. Denn je mehr er darüber nachdachte, desto
überzeugter war er davon, daß sich ihre Wege eines Tages
kreuzen würden.
»Soso, Mr. Pitt, Sie sind also für die Katastrophe am Orion
Lake verantwortlich«, sagte Qin Shang. Er sprach zu dem Foto,
als ob Pitt leibhaftig vor ihm stünde. »Es ist mir nach wie vor
ein Rätsel, aus welchem Grund Sie meine
Emigrantensammelstelle und meine Jacht zerstört haben. Aber
eins lassen Sie sich gesagt sein: Bei aller Hochachtung, die ich
vor Ihren Fähigkeiten habe, weitere Erfolge werden Sie nicht
vorweisen können. Der nächste Eintrag in Ihre Personalakte
wird auch der letzte sein. Ein Nachruf auf Sie.
13
Auf ausdrückliche Anweisung aus Washington hin wurde
Agentin Julia Lee unverzüglich von Seattle nach San Francisco
geflogen, wo man sie zur ärztlichen Behandlung und
Beobachtung in einem Krankenhaus unterbrachte. Die
diensttuende Schwester keuchte hörbar auf, als Julia das
Krankenhaushemd ablegte, damit der Arzt sie untersuchen
konnte. Es gab kaum eine Stelle an ihrem Körper, die nicht
blutunterlaufen oder von roten Striemen gezeichnet war. Und an
der Miene der Schwester erkannte sie auch, daß ihr Gesicht nach
wie vor völlig verschwollen und verfärbt war. Was sie einmal
mehr in ihrem Entschluß bestärkte, mindestens eine Woche lang
nicht in den Spiegel zu gucken.
»Ist Ihnen klar, daß Sie sich drei Rippen gebrochen haben?«
fragte der Arzt, ein rundum fröhlich wirkender, untersetzter
Mann mit kahlem Kopf und kurz gestutztem grauem Bart.
»Ich habe es vermutet, weil es immer so gestochen hat, wenn
ich auf die Toilette mußte«, erwiderte sie flachsend. »Kriege ich
jetzt einen Gips um die Brust?«
Der Arzt lachte. »Das gehört der Vergangenheit an. Genauso
wie Blutegel und Aderlässe. Heutzutage lassen wir so etwas aus
eigener Kraft verheilen. Sie werden ein paar Wochen, lang bei
bestimmten Bewegungen leichte Beschwerden haben, aber das
legt sich rasch.«
»Was ist mit den anderen Verletzungen? Lassen die sich
wieder beheben?«
»Ihre Nase habe ich bereits gerichtet. Mit der entsprechenden
Behandlung dürften die Blutergüsse und Schwellungen rasch
abklingen. In einem Monat können Sie wieder zum
Schönheitswettbewerb antreten. Das verspreche ich Ihnen.«
»Einen Arzt wie Sie kann man sich als Frau nur wünschen«,
sagte Julia.
»Komisch«, erwiderte er lächelnd, »aber meine Frau sagt so
was nie.« Beruhigend drückte er ihre Hand. »Von mir aus
können Sie übermorgen nach Hause. Unten am Empfang haben
Ihretwegen übrigens zwei hohe Herren aus Washington
vorgesprochen. Sie müßten demnächst hier oben eintreffen. In
alten Filmen werden Besucher immer aufgefordert, nicht zu
lange zu bleiben. Ich hingegen bin der Meinung, daß die
Heilung schneller vonstatten geht, wenn man beruflich wieder
gefordert wird. Sie dürfen es nur nicht übertreiben.«
»Keine Angst, und vielen Dank für Ihre Fürsorge.«
»Keine Ursache. Ich werde heute abend wieder bei Ihnen
vorbeischauen.«
»Soll ich hierbleiben?« fragte die Schwester. Der Arzt
schüttelte den Kopf. Kurz darauf betraten zwei dienstbeflissen
wirkende Männer das Krankenzimmer. »Hier geht es um
Staatsgeschäfte. Sie wollen Ms. Lee vertraulich sprechen. Habe
ich recht, meine Herren?«
»Ganz recht, Doktor«, sagte Arthur Russell, der Leiter des
INS-Bezirksbüros in San Francisco und Julias unmittelbarer
Vorgesetzter. Er war grauhaarig und wirkte einigermaßen
durchtrainiert r immerhin übte er tagtäglich in dem privaten
Fitneßraum, den er sich zu Hause eingerichtet hatte. Er lächelte
und musterte Julia voller Mitgefühl.
Der andere Mann hatte schüttere blonde Haare, graue Augen
und trug eine randlose Brille, Julia kannte ihn nicht. Er
betrachtete sie mit ausdruckslosem Blick. Abschätzig allenfalls,
so als wollte er ihr eine Versicherungspolice andrehen.
»Julia«, sagte Russell, »wenn ich vorstellen darf: Peter
Harper. Er ist eigens von Washington hierhergeflogen, weil er
Ihren Bericht persönlich hören will.«
»Ja, natürlich«, sagte Julia, die mehrmals vor Schmerzen
zusammenzuckte, als sie sich mühsam aufsetzte. »Sie sind der
Amtsleiter des Außendienstes. Mein höchster Vorgesetzter.
Freut mich, Sie kennenzulernen. Für unsereinen genießen Sie
einen geradezu legendären Ruf.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.« Harper schüttelte Julia die
Hand und war
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