Höllenherz / Roman
langsam zum Stehen kam. Seine Männer blieben auf Abstand, als fürchteten sie, dass Lor sie beißen könnte.
»Warum haben Sie ihn gehen lassen?« Baines’ Stimme bebte vor Zorn.
Lor war unsagbar enttäuscht von Helver, aber Rudel war Rudel. »Er ist nicht Ihr Brandstifter.«
Baines musterte ihn aufmerksam. »Ich will einen Namen.«
»Nein.« Lor setzte eine ausdruckslose Miene auf.
»Wie lautet Ihr Name?«
»Lor.«
»Lor wie?«
»Nur Lor. Ich brauche keine zwei Namen.«
»Nun, Lor-mit-einem-Namen, Ihr Junge könnte ein wichtiger Zeuge sein.«
»Er hat nichts gesehen.«
Das Böse war inzwischen fort. Lediglich eine Erinnerung hing noch in der Luft und mischte sich unter den Schneeregen. Das Kürbislampenorange des Feuers schien sie zu verhöhnen, während es den Himmel in einen fiesen Bronzeton tauchte. Nichts Natürliches hatte diese Feuersbrunst ausgelöst.
»Woher wissen Sie, was er gesehen hat und was nicht?«, gab Baines mit zusammengebissenen Zähnen zurück.
»Ich habe ihn gefragt, und Hunde können nicht lügen.«
Baines kniff die Augen ein wenig zusammen. »Würden es nicht, meinen Sie.«
»Können nicht. Wir sind nicht dazu imstande.«
Er zog skeptisch eine Braue hoch. »Ohne Scheiß?«
»Ohne Scheiß«, sagte Lor. »Wir sind Ihre Traumzeugen.«
Baines sah ihn eine Weile nachdenklich an, dann wich er widerwillig zurück. Er reckte das Kinn kaum merklich – eine aggressive Geste, als brannte er auf ein mehr als verbales Kräftemessen. Was eine miserable Idee gewesen wäre, denn auch wenn Baines nicht klein war, hätte Lor ihm im Handumdrehen das Genick brechen können.
Der Detective entspannte seine Fäuste. »Dank Ihnen habe ich gar keinen Zeugen – bisher.«
»Doch, haben Sie«, entgegnete Lor.
»Wen?«
Er nickte zum Feuer. »Das Gebäude selbst. Bis vor ein paar Jahren war das eine Stahlfabrik. Es ist alles aus Beton und Stahl.«
Der Detective sah ihn an und schien zu begreifen. »Beton brennt nicht.«
»Betonwände können Gasflammen bis zu tausend Grad Celsius über vier Stunden aushalten, ohne dass die Struktur sich verändert. Deshalb baut man Feuerschutzwände aus Beton.«
Baines wirkte verdutzt.
»Ich habe ein Lagerhaus renoviert«, erklärte Lor. »Da musste ich das nachgucken.«
»Dieses Feuer wurde nicht von einem Jugendlichen gelegt«, pflichtete Baines ihm leise bei.
»Die Wände schmelzen.«
»Wie zur Hölle geht das?«
»Mit einem Zauber.«
Baines runzelte die Stirn.
Lor blickte ins Feuer. Er fühlte das Echo des Zaubers tief im Herzen der Flammen. Zwar waren die Höllenhunde diesem Feind noch nie begegnet, doch er war alt und mächtig. Und jetzt, da Lor ihn nicht mehr jagte, konnte er das Aroma der verbliebenen Magie kosten und genauer prüfen.
Geisterbeschwörung.
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5
Dienstag, 28. Dezember, 22 Uhr 30
Talias Wohnung
T alia mochte tot sein, aber sie gruselte sich immer noch sehr leicht.
Der Blutgeruch überschwemmte ihren Kopf, verschluckte alles Sehen und Hören. Zögernd blieb sie stehen, als ihre Vampirsinne schrien, etwas würde nicht stimmen. So viel Blut war viel zu viel, um etwas Gutes zu verheißen. Die Fahrstuhltüren schlossen sich mit einem leisen Puffen hinter ihr, das einen Schwall verbrauchter Luft entließ. Und diese wiederum wirbelte den wahnsinnig machenden, verlockenden, ekelhaften Geruch auf.
Sie nahm eine merkwürdig vertraute Note wahr, eine Duftnuance, die Erinnerungen weckte … wie ein ausgefallenes Parfum.
Talia blinzelte den Korridor hinunter. Dies war ihr Stockwerk in dem Mietshaus, an dessen Ende Michelles Wohnung lag. Talia holte die Schlüssel aus ihrer Handtasche und ging los. Beim Laufen schlug ihr die Einkaufstasche von Howard’s gegen das Bein.
Ihr Magen schmerzte, und ihre Kiefer brannten, aber mehr aus Panik als vor Hunger. Eine solche Menge Blut bedeutete, dass jemand verletzt war. In dem Haus wohnten viele alte Menschen, größtenteils allein. Einer von ihnen könnte ausgerutscht und gefallen sein oder sich in der Küche übel geschnitten haben. Oder war jemand eingebrochen?
Talia ging schneller, folgte dem Duft. Gleichzeitig nahm sie ihr Handy aus der Schultertasche. Der Strassbesatz auf der leuchtend blauen Hülle blinkte im gedämpften Deckenlicht. Sie klappte das Handy auf und machte sich bereit, den Notruf zu wählen, sobald sie herausgefunden hatte, wer Hilfe benötigte. Sie war keine Superheldin, aber sie konnte eine Tür aufbrechen und ihren Hunger lange genug beherrschen, um Erste Hilfe zu
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