Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höllenherz / Roman

Höllenherz / Roman

Titel: Höllenherz / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Ashwood
Vom Netzwerk:
und wie viel der Burgatmosphäre? Energisch schritt sie ein bisschen schneller.
    »Früher war die Burg mal eine lebendige Welt«, erzählte Lor in einem Tonfall, als wollte er sie beruhigen. »Vor sehr langer Zeit, noch ehe sie zu einem Kerker wurde.«
    »Und was ist passiert?«
    »Einer der Hexer, die sie erbauten, wurde wahnsinnig. Das Ende der Geschichte ist jedenfalls, dass er der Burg alles Leben raubte. Mac opferte seine Menschlichkeit und gab ihr damit die Chance, sich wieder zu erholen.«
    »Was bedeutet das?«
    »Die Welt entsteht jetzt wieder neu, quasi im Schnellvorlauf. Genau wie auf dem Discovery Channel.«
    Talia blieb stehen. »Wie geht das denn?«
    Lor sah auf ihren Arm. »Hinterher ist noch Zeit, es dir zu zeigen.«
    »Du hast mich hierhergeschleppt. Jetzt befriedige auch meine Neugier!«
    Er überlegte. »Na gut, sieh dir das an.«
    Er zog sie in einen kleinen Seitenkorridor. Nach wenigen Metern wurden die Mauern unregelmäßiger. Schutthaufen lagen auf dem Boden, und Teile der Wände waren weggebrochen, als hätte etwas an ihnen geknabbert. Statt der geometrischen Gänge erschien eine Lichtung mit einem See. Sternenlicht blinkte auf dem dunklen Wasser.
    Fasziniert blickte Talia nach oben. »Hier gibt es einen Himmel!« In der klaren, sauberen Luft und ohne andere Lichtquellen wirkten die Sterne riesig und gestochen scharf.
    Lors Lächeln erschien ein bisschen wehmütig. »Vor einem Jahr war der Himmel noch nicht da. Es gibt immer noch keine Sonne und keinen Mond, nur Sterne.«
    »Kein Wunder, dass es so dunkel ist!«
    »Ich hatte noch nie einen Himmel gesehen, bis ich aus der Burg floh.«
    Talia versuchte, es sich vorzustellen, scheiterte jedoch. Sie drückte seine Hand und fühlte die kräftigen Fingerknöchel. Ihr Vater und seine Schlächterideale hatten ihre Kindheit bestimmt, dennoch war auch vieles ganz normal gewesen: Spielen, Schule, ein warmes Bett in einem normalen Haus. Lor brauchte und wollte ihr Mitleid gewiss nicht, trotzdem hatte sie einen Kloß im Hals.
    »Da drüben wächst etwas«, sagte er.
    Sie begriff, was er mit dem Discovery Channel gemeint hatte. Prähistorische Farne – grün, obwohl kein Licht schien – hingen bis ins Wasser. Zwischen ihnen blühten kleine rosa und weiße Blumen, und mit den Farnen bildeten sie einen süßlich duftenden Blütenteppich, der sich weit in die sternenfunkelnde Dunkelheit erstreckte.
    »Wunderschön«, murmelte sie. »Solche Blumen habe ich noch nie gesehen.«
    »Bis vor kurzem wuchs hier nichts als Moos«, fuhr Lor fort.
    In Talia erwachte die Lehrerin. »Das leuchtet ein. Die Burg brauchte erst einmal faseriges organisches Material, in dem Größeres wurzeln kann.«
    Sie erschauderte, doch diesmal geschah es, weil sie etwas Unglaubliches und Seltenes sah.
Hier entsteht ein ganzes Ökosystem binnen kürzester Zeit.
Jemand sollte alles dokumentieren, festhalten, damit andere verstanden, warum es so erstaunlich war.
Ob sie hier Studenten reinlassen würden?
    Nun, die wichtigere Frage lautete wohl: Würden die Studenten lebend und menschlich wieder herauskommen?
    »Komm«, forderte Lor sie auf, »wir können uns später umsehen.«
    Widerwillig drehte Talia sich um. Ihre Gedanken überschlugen sich. »Wäre es okay, wenn ich mal mit einer Kamera herkomme?«
    »Frag Mac.«
    Sie liefen nur ein kleines Stück, begegneten allerdings zusehends mehr Leuten. Lor winkte einigen zu, ging aber weiter, bis sie einen jungen Mann in einem Lederkilt trafen.
    »Hi, Lor. Mac ist unterwegs«, sagte der junge Mann.
    Lor stellte ihn Talia vor. »Stewart ist einer von Macs neuen Wachen.«
    Talia bemerkte, dass er schwer bewaffnet war: ein kurzes Schwert, mehrere Messer, ein Automatikgewehr und mindestens zwei Handfeuerwaffen. Außerdem hatte er ein breites Lederband um seinen Hals gebunden, wohl gegen Vampire. Was zweifellos sinnvoll war. Stewart war menschlich – hungrig, wie Talia war, nahm sie den Geruch von frischem Blut deutlich wahr –, und seine Überlebenschancen an einem Ort voller Raubtiere standen schlecht, wenn er sich nicht angemessen schützte.
    Das Erstaunlichste indessen war die Kreatur auf seiner Schulter. Dort hockte eine winzige gefiederte Echse, deren orange und rote Federn sich bis zu ihren grauen Fledermausflügeln zogen. Das Ding glotzte Talia böse an und stellte keckernd seine Nackenfedern auf. Mit kleinen Vogelkrallen klammerte es sich an einen von Stewarts vielen Ohrringen, was fast niedlich war.
    »Was ist das?«, fragte Talia, die

Weitere Kostenlose Bücher