Höllenherz / Roman
er würde direkt zum Wesentlichen kommen, denn für alles andere fehlte ihm die Energie.
Im sonnenbeschienenen Schnee sahen die Reihenhäuser in Spookytown fast hübsch aus. Die von Höllenhunden bewohnten waren gepflegt, die Wege vor ihnen geräumt, und in den Gärten spielten Welpen. Es stimmte, dass seit dem Tod seiner Mutter keine Jungen mehr geboren worden waren, aber konnte das nicht Zufall sein? Konnten nicht all die Kriege und Kämpfe, die sie durchgemacht hatten, der Grund sein, weshalb die Weibchen nicht trächtig wurden?
Doch selbst wenn es so wäre, würde das Rudel es wohl niemals glauben. Die Ältesten setzten sich immer durch. Für Lor bedeutete Tradition Trost und Kontinuität; für sie war sie Selbstzweck.
Dennoch musste er dies eine Mal mit den Sitten brechen.
Er brauchte ein Wunder.
»Madhyor!«
Lor drehte sich um und sah Helver die Straße hinunter auf ihn zugerannt kommen. Einige Meter hinter ihm lief Grash. Mit jedem Schritt schleuderten die beiden Schneeklumpen in die Luft. Lor bemerkte, dass etwas mit Helvers Gesicht nicht stimmte.
Der junge Hund warf sich vor Lor auf die Knie. »Hilf mir,
Madhyor!
«
Schlitternd kam Grash hinter ihm zum Stehen. Weder er noch Helver trugen Jacken. Grashs Overall war voller Sägemehl aus seiner Tischlerei, als hätten sie dort einen Streit angefangen und wären auf die Straße gelaufen. »Er lässt meine Werkzeuge fallen. Er macht sie kaputt, weil er so unvorsichtig und faul ist!«
Grash bückte sich, packte Helver am Kragen und riss ihn nach oben. Nun sah Lor, weshalb Helver um Hilfe bat. Das Gesicht des Jungen war rotverschmiert, ein Auge zugeschwollen, und Blut lief aus seiner Nase.
Lor wurde so wütend, dass alle Farbe aus der Welt zu weichen schien. »Was ist das? Ich habe ihn dir anvertraut, damit du ihn im Rudel aufziehst. Du bist sein
Trainer!
«
»Er lässt sich nicht erziehen!«, knurrte Grash. »Und jetzt wirft er sich vor seinen Alpha wie ein Welpe, der an die Mutterzitze will. Er wird sich niemals die Bezeichnung Krieger verdienen.«
Lor befreite Helver von ihm und schob ihn zur Seite. »Wenn du nicht mit ihm fertig wirst, musst du ihn einfach nur zu mir zurückschicken.«
Grash spuckte in den Schnee. »Dann viel Glück! Der taugte noch nie was und wird es auch nie.«
Während er den großen Hund betrachtete, schätzte Lor ab, wie groß, schwer und gewitzt Grash war. Dies war zwar nicht der günstigste Zeitpunkt, aber hier bot sich eine Gelegenheit, ihn unter Kontrolle zu bringen. »Was meinst du mit
nie?
Woher willst du das wissen, wo du ihn doch erst seit wenigen Tagen trainierst?«
Schlagartig verschloss Grashs Miene sich. Mavritte hatte darum gebeten, dass Helver in Grashs Obhut gegeben wurde, aber hatte er den jungen Hund schon vorher zum Gehorsam gezwungen?
»Was musste Helver für dich machen, ehe du sein Trainer geworden bist?«, knurrte Lor.
Grash schwieg, also wandte Lor sich wütend an Helver. »Was!?«
Der Junge atmete durch den Mund, und Blut quoll aus seiner Nase, als er zu sprechen versuchte. »Das Wahlbüro – Grash hat mich hingeschickt.«
Dieser räudige Mistkerl!
Krach!
Lors Faust rammte in Grashs Gesicht, und dann war er auf ihm, blind vor Wut auf die Redbones, auf Helver und darauf, dass er der Alpha war. Noch drei Mal hieb er mit der Faust zu, bis Grash ebenso zugerichtet war wie Helver.
Er legte nur eine kurze Pause ein, um zu fragen: »Was zum Geier hast du dir dabei gedacht, unseren Welpen in Gefahr zu bringen?«
Grash fletschte die Zähne. »Im Krankenhaus gibt es Drogen, die wir verkaufen können. Bares Geld, das wir uns nur nehmen müssen, also warum nicht? Die Hunde schuften sich tot, aber die Blutsauger sind mit Diamanten behängt.«
»
Warum
nicht? Weil ich nein sage!«, brüllte Lor. »Höllenhunde tun so etwas nicht!«
Er zerrte Grash auf die Füße und schlug ihn gleich wieder zu Boden. Lors Hände schmerzten, seine Lunge brannte von der eisigen Luft, aber es war nötig, brutal zu sein. Nur so verschaffte er sich Respekt.
Und nicht bloß Grash war sichtlich eingeschüchtert. Lor bemerkte, wie Helver ihn anglotzte, fasziniert von Lors Dominanz. Vernunft wirkte bei dem Jungen nicht, dann half dies hier vielleicht.
Ein Teil von Lor war angewidert, aber es gehörte eben dazu, wenn man ein Hund war. Bis die Rudelstrukturen sich der menschlichen Welt anpassten, würden noch Jahrzehnte vergehen. Hier war Biologie im Spiel.
Genau wie bei der Gefährtinnenwahl des Alphas.
Talia. Er dachte gar
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