Höllenjagd
sein?«
»Ja, aber nur im passenden Augenblick. Cromwell hat unglaublich viel Einfluss bei der politischen Elite und beim Geldadel in San Francisco. Er ist der größte Wohltäter der Stadt. Wenn wir genug Beweismaterial haben, um ihn anzuklagen, werden seine Freunde eine Wagenburg bauen und jeden unserer Schritte bekämpfen. Dann brauchen wir jede Hilfe von der Regierung, die wir kriegen können.«
»Wie sieht Ihr Plan aus?«
»Im Moment habe ich noch keinen Plan. Cromwell ist satt und zufrieden, und er weiß nicht, dass wir ihm mit jedem Tag näher auf die Pelle rücken.«
»Aber wir sind von einer Verhaftung genauso weit entfernt wie vor drei Wochen.«
»Ja, doch jetzt bin ich im Vorteil.«
Van Dorn hob neugierig die Augenbrauen und fragte skeptisch: »Was für ein Vorteil soll das sein?«
»Cromwell weiß nicht, dass ich noch am Leben bin.«
»Es wird ein Schlag für sein Ego sein, wenn er sieht, dass Sie wiederauferstanden sind.«
Bell lächelte dünn. »Darauf zähle ich.«
28
Cromwells Verletzung durch Bells Kugel war nicht ernst. Er ließ sie erst von einem Arzt behandeln, als er mit Margaret wieder in San Francisco war, wo die Eintritts- und Austrittswunde antiseptisch gereinigt, genäht und bandagiert wurde. Der Doktor, ein alter Freund, stellte keine Fragen, doch Cromwell erzählte ihm trotzdem die Lüge, dass er beim Reinigen der Pistole aus Versehen auf sich selbst geschossen hatte. Da seine Frau von Cromwell eine großzügige Spende für ihr Lieblingsprojekt, das San Francisco Ballet, erhalten hatte, meldete er den Vorfall nicht der Polizei und vertraute darauf, dass er nie erwähnt würde.
Cromwell kehrte in die Bank zurück und hatte schnell wieder die gewohnte Routine aufgenommen. Die erste Aufgabe an diesem Tag bestand darin, eine Rede zu schreiben, die er bei der Eröffnung eines Altensanatoriums, das aufgrund seiner großzügigen Spenden errichtet werden konnte, halten würde. Bescheidenheit gehörte nicht zu seinen Stärken, sodass er es das Jacob-Cromwell-Sanatorium nannte. Er rief Marion Morgan herein, damit sie seine Notizen für die Rede abtippte.
Sie setzte sich auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch und sah ihn an. »Entschuldigen Sie die Frage, Mr. Cromwell, aber geht es Ihnen gut? Sie sehen ein bisschen blass aus.«
Er zwang sich zu einem Lächeln, während er instinktiv seine Seite berührte. »Ich habe mich beim Nachtangeln erkältet. Es ist fast schon wieder vorbei.«
Er reichte ihr seine Notizen, schwang auf seinem Lederstuhl herum und blickte aus dem Fenster auf die umliegende Stadt. »Tippen Sie bitte meine Ansprache ab und machen Sie gerne Änderungsvorschläge, wenn Sie es für nötig halten.«
»Ja, Sir.«
Marion stand auf, um Cromwells Büro zu verlassen, blieb jedoch kurz in der Tür stehen. »Entschuldigen Sie bitte, ich wüsste gerne, ob Sie etwas von dem Van-Dorn- Detektiv gehört haben.«
Cromwell schwang vom Fenster zurück und blickte sie neugierig an. »Isaac Bell?«
»Ich glaube, so hieß er.«
Er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, als er sagte: »Er ist tot. Ich habe gehört, er sei bei einem Bankraub in Colorado erschossen worden.«
Marions Herz fühlte sich an, als würde es zwischen zwei Eisblöcken zerquetscht. Sie konnte Cromwells Worte nicht glauben. Ihre Lippen zitterten, und sie wandte sich von ihm ab, damit er die Bestürzung in ihrem Gesicht nicht sah. Nur mit Mühe bewahrte sie Haltung und verließ wortlos sein Büro.
Wie in Trance saß Marion danach an ihrem Schreibtisch. Sie verstand nicht, warum sie so sehr um einen Mann trauerte, den sie kaum gekannt hatte, einen Mann, mit dem sie nur einmal zu Abend gegessen hatte. Noch immer erinnerte sie sich genau an sein Gesicht, als stünde er vor ihr. Das zarte Band, das sie geknüpft hatten, war grausam zerschnitten worden. Sie fühlte sich, als hätte sie einen guten Freund verloren.
Mit zitternden Händen spannte sie einen Bogen Papier in die Schreibmaschine und machte sich daran, Cromwells Notizen für seine Rede abzutippen.
Um fünf Uhr nachmittags stand Cromwell auf den Stufen eines neuen dreistöckigen Backsteingebäudes an der Ecke Geary und Fillmore Street und lauschte einer langen und blumigen Ansprache von Bürgermeister Eugene Schmitz, einem engen Freund Cromwells, der von großzügigen Beträgen profitierte, die heimlich auf sein persönliches Konto bei der Cromwell Bank transferiert wurden. Um die fünfhundert Personen nahmen an der Eröffnungsfeier teil,
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