Höllenknecht
Verlobt waren sie einst, der Heinz und die Felicitas. Geliebt haben sie sich wie Romeo und Julia. Sie hatten nicht voneinander lassen können, keinen Tag lang.Dann aber war der Alte eingeschritten. Johann Jakob von Brasch. Dem war ein Jurist nicht gut genug für seine schöne Tochter. Die sollte mindestens einen Grafen haben und nicht das Weib eines Aktenfuchsers werden. Einen Grafen oder ins Kloster.
Und Heinz war ein Ehrenmann. Er hatte auf die Liebste verzichtet, um ihr den Schleier zu ersparen.
Das hatten die Leute erzählt, und Hella war damals sogar noch stolz gewesen auf ihren Heinz. Wie kindisch und gutgläubig sie doch gewesen war! Alle Warnglocken hätten ihr läuten müssen und nicht nur die eine Hochzeitsglocke. Aber nein, sie hatte ihm vertraut. Und nun war gekommen, was kommen musste. Die alte Liebe zwischen Heinz und Felicitas war wieder aufgeflammt. Was half es da, dass Heinz ihr vor der Hochzeit geschworen hatte, alles sei ganz anders gewesen? Eine Verwechslung. Waschweibergewäsch. Magdgeschwätz. Marktgetratsche. Nun war es offenkundig, lag auf der Hand wie dieses Tuch. Heinz betrog seine Hella. Mit Felicitas!
Hella ertrug es nicht länger. Raus, ich muss raus hier, war ihr einziger Gedanke. Ohne zu wissen, was sie eigentlich tat, packte sie ein paar Sachen zusammen, fand sich wenig später auf der Straße wieder. Zu Gustelies, zu meiner Mutter, war ihr erster Einfall. Bei der Vorstellung, sich ihrer Mutter an den warmen, weichen Busen zu werfen, der Angst, der Trauer und der Verzweiflung freien Lauf zu lassen, ging es ihr schon ein klein wenig besser. Zwar fürchtete sie Gustelies’ Vorwürfe, doch war sie sich sicher, dass die Mutter eine Lösung für ihr Problem wusste.
Mit schwimmenden Augen hastete Hella die Fahrgasse hinauf, bog in die Töngesgasse ein und war kurz darauf auf dem Liebfrauenberg. Die Fenster in der Pfarrhausküchewaren hell erleuchtet. Dabei war es draußen noch nicht ganz dunkel. Sonst stürzte Hella ohne viel Aufhebens in das Haus ihrer Mutter und ihres Onkels, aber irgendetwas hielt sie heute davon ab. Wie unter Zwang schlich sie zum Küchenfenster und spähte hinein. Am Tisch saß ihr Ehemann! Von ihrer Mutter dagegen keine Spur.
Hella war darüber so erschrocken, dass sie beinahe einen Schrei ausgestoßen hätte. Jetzt wusste sie, dass hier keine Bleibe für sie war.
Nicht heute und auch nicht morgen. Hier würde Heinz sie zuallererst suchen. Und Gustelies würde es nicht dulden, dass sie sich vor ihrem Mann verleugnen ließ. Nein, sie brauchte jetzt Ruhe. Sie musste nachdenken. Kurz entschlossen machte sie sich auf in die Hasengasse. Dort gab es den Gasthof zum Roten Ochsen. Hella hatte ein wenig Angst. Noch nie war sie allein über Nacht in einem Gasthof gewesen, doch der Rote Ochse schien ihr geeignet. Er lag noch innerhalb der Stadtmauern, so nahe am Antoniterkloster, dass ein lasterhaftes Treiben unmöglich war. Außerdem grenzte der Gasthof auf der anderen Seite an die Herberge der Aschaffenburger Kaufleute. Die galten im Allgemeinen als gottesfürchtig und anständig.
Gustelies war in Eile. So schnell sie konnte, hastete sie quer durch die Stadt. Vom Liebfrauenberg bis zum Hospital zum Heiligen Geist waren es gute zehn Minuten Fußweg, doch Gustelies flog dahin, als wäre der Teufel hinter ihr her. Ihr Gesicht glühte, hinter ihr flatterten die Bänder der Haube. Energisch stieß sie einen Lehrjungen zur Seite, trat nach einem Schwein, das partout nicht aus dem Weg wollte. Sosehr sie die Messe liebte, heute hasste sie die Neue Kräme. Überall, aber besonders hier in der Haupthandelsgassestanden die Menschen in dichten Trauben und versperrten die Straße. Gaukler und Straßenmusikanten machten sich auf den letzten freien Plätzchen breit, zwischendrin jagten zwei Büttel einen Beutelschneider. Eine fette Ratte hockte in einer Mauernische.
«Verzeihung, Verzeihung», rief Gustelies und ruderte mit den Händen, so gut es der Weidenkorb über ihrem Arm erlaubte. Sie trat auf goldbestickte Schuhe und stolperte über Reiterstiefel. Mit empörter Miene rückte eine achtbare Bürgerin ihre Haube zurecht. Gustelies hatte sie ihr um ein Haar vom Kopf gestoßen.
Am Römer wühlte sie sich durch die Menge. Gustelies’ Ohren dröhnten von dem Rufen und Schreien. Sie verstand nicht ein Zehntel der Sprachen, in denen die Leute verhandelten, schwatzten, schäkerten und über die rücksichtslose Dränglerin fluchten.
Dann lag der Römerberg hinter ihr. Gustelies
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