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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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hatte. Ganz heiß wurde ihr auf einmal. Wie vom Teufel gehetzt eilte Hella mit gerafftem Rock die Treppe hoch, überhörte sogar das Donnern eines Gewitters, dessen dunkle Wolkenboten so dicht über der Stadt hingen, dass man glauben konnte, es wäre bereits später Abend. Sie stolperte, prallte gegen die Wand und stieß sich an der Schulter, doch schon hastete sie weiter. Die Tür zu Heinz’ Arbeitszimmer war – wie fast immer – verschlossen. Doch Hella hatte sich schon vor vielen Monaten einen Nachschlüssel machen lassen. Alle paar Wochen wechselte sie den Platz, an dem sie ihn versteckt hielt. Im Augenblick befand er sich in ihrem Nachtkästchen, ganz hinten, hinter den Stoffstreifen, die sie alle vier Wochen benötigte. Hella wusste genau, dass diese Binden ihren Heinz mit Scham erfüllten, und hielt das Versteck deshalb vorerst für sicher.
    Schnell hatte sie den Schlüssel bei der Hand, schnell schloss sie die Tür des Arbeitszimmers auf, und schnell setzte sie sich hinter den Schreibtisch. Zuerst las sie die Papiere, die sich mit dem Kannibalen befassten. Sosehr sie sich auch sonst für die Criminalia der Stadt interessierte,heute hatte sie weder Augen noch Ohren für die Hintergründe der aktuellen Mordsache.
    Hella schob die Papiere zur Seite, zog einen weiteren Aktenordner zu sich heran und blätterte darin. Sie wusste nicht recht, wonach sie suchte. Es war vielmehr so, dass irgendetwas sie trieb. Die Angst wohl. Oder sollte sie besser sagen: die Eifersucht? Sie wusste es nicht mit Sicherheit. Hella schob den zweiten Aktenordner zur Seite. Dann durchwühlte sie die Schubladen des Schreibtisches. Sie fand nichts. Wie sollte sie auch, da sie ja nicht wusste, wonach sie eigentlich suchte?
    Sie seufzte, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte die Hände vor das Gesicht. Plötzlich hörte sie ein Geräusch im Haus, es klang wie das Knarren der Haustür. Sie erschrak, fuhr hoch und warf dabei einen dritten Aktenordner vom Schreibtisch. Es knallte, dann war alles ruhig. Ganz still saß Hella und lauschte, doch nichts regte sich mehr. Niemand kam die Treppe herauf, nicht einmal die Magd hörte sie in ihrer Kammer ein Stockwerk höher auf und ab gehen.
    Langsam atmete Hella auf. Ihr Puls beruhigte sich. Sie bückte sich und hob den schweren Ordner auf. Etwas fiel heraus und auf den Boden. Ein weißes Viereck. Hella griff zu. Ein Tüchlein mit schön gewirkter Spitze. Zarter Geruch stieg empor. Hella presste den Stoff für einen Augenblick an ihre Nase. Maiglöckchen, dachte sie. Das Tuch riecht nach Maiglöckchen. Wieder fiel ihr Heinz ein, der einmal zu ihr gesagt hatte, er liebe sie auch für ihren unnachahmlichen Geruch. Maiglöckchen, hatte er gesagt. Du riechst nach Maiglöckchen im Sommer und im Winter nach Pfirsichkernöl.
    Sie erhob sich, das Tuch in der Hand. Hella starrte aufdas mit Silberfäden eingestickte Monogramm: FVB. Felicitas von Brasch! Die Initialen der Frau, die Heinz vor dem Römer so offensichtlich schöne Augen gemacht hatte.
    Hella wusste nicht, wie ihr geschah. Die Welt wurde plötzlich grau um sie herum. Die Wände rückten auf sie zu, und die Decke kam herab, schien sich schwer auf ihre Schultern zu legen. Hella riss an ihrem Kragen. Luft! Sie brauchte Luft! Ihre Knie zitterten, die Hände, der Busen, ihr ganzer Leib bebte. Sie fror und schwitzte zugleich. Alles ist verloren, dachte sie. Alles ist verloren. Heinz betrügt mich. Er liebt Felicitas von Brasch. Und ich bin nicht unschuldig daran.
    O ja, Hella wusste genau, was sich hinter ihrem Rücken abspielte! Jetzt, in diesem Augenblick, wurde ihr einiges klar. Die späten Abendessen mit angeblichen Ratsmitgliedern, nächtliche Tatortbesichtigungen, die zahlreichen Gänge zum Henker. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Immer schon hatte sich Heinz wohl mit Felicitas getroffen. Hatte er nicht selbst gesagt, dass Treue nicht die Sache der Männer sei? Und war er selbst nicht der lebende Beweis dafür? Oh, wie augenfällig ihr jetzt alles war! Sie hätte schon damals stutzig werden sollen, als ihr kurz vor der Vermählung mit Heinz zu Ohren gekommen war, dass er ein gebrochenes Herz hinter sich ließ. Ja, so hatte es damals geheißen. Aber sie hatte dem keinen Glauben schenken wollen. Töricht war sie gewesen. Töricht! Hella erinnerte sich noch ganz genau, was ihr eine Krämerin auf dem Markt erzählt hatte. Die hatte Bescheid gewusst, aus direkter Quelle sozusagen, denn ihre Nichte war die Wäscherin derer von Brasch gewesen.

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