Höllenknecht
Schürze ab und ging hinunter ins Badehaus. Es war ihr ein Kummer, dass Pater Nau und sie nicht als Einzige das kleine Häuschen in der Ecke des Pfarrhofs benutzten. Einmal in der Woche stand es auch denjenigen unter den Gemeindemitgliedern offen, die kein Badehaus ihr Eigen nennen konnten. Früher, dachte sie, früher sind alle einmal die Woche in den großen Zuber gestiegen, alle und jeder. Was haben wir gelacht und gescherzt, es gab gutes Essen, und der Wein war auch reichlich. Aber seit diese vermaledeite Franzosenkrankheit im Land ist, seitdem ist es aus mit den gemeinsamen Badefreuden. Obschon die meisten öffentlichen Badestuben nicht hatten schließen müssen, weil die Gäste ausblieben, dachte Gustelies: Hier in Frankfurt gibt es einfach keine mehr, in die ich freiwillig gehen würde. Heute schon gar nicht. Heute kann ich wirklich keine Zuschauer gebrauchen.
Am Mittag hatte sie bereits gründlich eingeheizt. Nun stand der Badezuber bereit für sie. Doch nach dem Auskleiden betrachtete Gustelies erst einmal ihr Gesicht in dem kleinen Handspiegel. Ich sehe müde aus, stellte sie fest. Müde. Und meine Haut ist fahl, fast ein wenig grau. Sie hielt ihre Hand kurz in das warme Badewasser und griffdann in die Schale mit dem feinen Flusssand. Damit rieb sie sich über das Gesicht, bis sie ihrem Spiegelbild ein anerkennendes «Schon besser» zuknurren konnte. Gustelies tauchte zwei kleine Leinenstücke in einen Sud aus Kamille und setzte sich auf die warme Stufe im Badehaus. Hier legte sie sich die beiden Läppchen auf die Augen. Gut eine Viertelstunde saß sie so da, wie sie an der Glocke der Kirchturmuhr hören konnte. Nach der Kamillenbehandlung wirkten ihre Augen viel frischer. Der Spiegel log ja nicht. «Oder doch?» Gustelies flüsterte es in die Stille. Die Hitze im Badehaus schien ihr nun erdrückend. Hastig griff sie nach ihrem Umhang und eilte zurück ins Pfarrhaus. In ihrer Schlafkammer stand der große Spiegel, den ihr verstorbener Mann als kostbare Morgengabe zur Hochzeit ins Haus hatte bringen lassen. Gustelies schloss die Fensterläden und zündete ein paar Kerzen an.
Mit einer nachlässigen Geste warf sie den Umhang aufs Bett und betrachtete sich nachdenklich in dem venezianischen Glas. War sie das wirklich, diese blasse Figur im flackernden Kerzenschein? Sie brauchte mehr Licht. So nahe war kein Nachbar, dass sie Blicke fürchten musste. Und wenn schon, dachte Gustelies. Heftig stieß sie die Holzläden wieder auf.
Was war das? Ihre Oberschenkel, das ganze Gesäß sah aus, als wäre ein Hagelsturm über ihre Haut gefahren. Ihre Oberarme hatten immense Ausmaße angenommen, und glatt waren auch die nicht mehr. Beinahe wäre Gustelies in Tränen ausgebrochen. Wie lange, dachte sie, habe ich mich nicht mehr im Spiegel angesehen? Wann bin ich alt geworden? Wann genau ist das passiert? Sie starrte ihr Spiegelbild an, als sähe sie ein Gespenst. Ganz nah kam sie, so nah, dass jedes Fältchen plötzlich doppelt so tief erschien. Waswar mit ihrem Hals geschehen? Woher kamen die zwei senkrechten Falten zwischen ihren Augenbrauen? Und diese hellen Strähnen im Haar. Jetzt sah sie es genau. Die waren keineswegs von der Sonne gebleicht, sondern vom Leben. Waren nicht blond, sondern grau. Gustelies seufzte, ließ sich auf den Schemel vor dem Spiegel fallen und betrachtete ihr Gesicht. Ihr vertrautes Gesicht, ihren vertrauten Leib, der sie nie im Stich gelassen hatte. Ihr Leib, den sie liebte. Was machte es, dass er hässlich geworden war! Er gehörte zu ihr. Das war sie eben. So war sie eben. Daran ließ sich nun mal nichts ändern.
Ohne dass sie genau sagen konnte, wie es geschah, veränderte sich ihr Antlitz. Die müde Haut straffte sich, die Fältchen wurden zu feinen Linien, wie man sie in kostbarer Seide fand, die Augen glänzten. Die Zähne waren nicht mehr so weiß wie noch vor Jahren, aber sie hatten noch immer einen Glanz, der an Perlen erinnerte. Seide, Perlen. Ja, das war es. Sie war nicht mehr schön, nicht mehr frisch und nicht mehr prall. Nein, jetzt war sie kostbar. Ihre Haut war weich und nachgiebig wie Samt. Das Gesicht ziseliert wie ein wertvolles Silbergerät mit dem Schimmer von Seidenstoffen. Augen und Zähne wie Perlen. Sie lächelte sich ein wenig zu, und dann überkam sie eine große Zärtlichkeit für sich selbst. Die Frau im Spiegel gefiel ihr. Sehr sogar. Sie sah so verletzlich aus. Noch nie hatte Gustelies sich so gesehen. Älter, aber kostbar. Sie lächelte noch immer. Dann holte
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