Hoellennacht
Überwachungskamera, die auf das Tor gerichtet war. Nightingale lächelte und reckte ihr den Führerschein entgegen. » Jack Nightingale«, sagte er. » Ich möchte Mr. Mitchell besuchen.« Er hatte keine Ahnung, ob ihn jemand beobachtete, und so steckte er den Führerschein wieder ein und ging zur Türsprechanlage zurück. » Jack Nightingale«, wiederholte er. » Ich möchte Mr. Mitchell besuchen.«
Das Rauschen hörte plötzlich auf, und eine Frau sprach in einem knappen, amtlichen Tonfall. » Mr. Mitchell empfängt keinen Besuch. Bitte entfernen Sie sich vom Tor. Danke.« Die Anlage verstummte.
Nightingale drückte die Taste erneut, und es rauschte wieder. » Ich heiße Jack Nightingale und möchte Mr. Mitchell aufsuchen. Mr. Sebastian Mitchell.«
» Mr. Mitchell empfängt keinen Besuch«, wiederholte die Frau.
» Können Sie ihm sagen, dass es um das Buch geht, das er geschrieben hat? Sein Tagebuch.«
» Mr. Mitchell empfängt niemals Besuch«, sagte die Frau. » Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufen wir die Polizei.«
Wieder statisches Rauschen. Nightingale beugte sich zur Anlage vor. » Sagen Sie ihm, dass mein Vater Ainsley Gosling war.« Das Rauschen hörte auf, und nun war nur noch das Vogelgezwitscher von den Bäumen auf der anderen Straßenseite zu hören. Der Türdrücker summte, und die Tür schwang auf. Er drehte sich um, schaute zur Überwachungskamera hinauf, grüßte scherzhaft, stieg dann wieder in den MGB und fuhr durchs Tor. Der Fahrweg wand sich nach rechts und endete vor einem dreigeschossigen Würfel aus Glas und Beton. Eine weiße Marmortreppe führte zu einer weißen, doppelt mannshohen Tür, die sich schon öffnete, als er aus dem Wagen stieg. Zwei Männer in schwarzen Anzügen und mit undurchdringlichen Sonnenbrillen kamen die Treppe zu ihm herunter.
Nightingale wusste instinktiv, dass sie ihn durchsuchen würden, und so lächelte er freundlich und hob die Arme. Einer der Männer, stämmig und mit rasiertem Schädel, drückte langsam und methodische seine Arme und Beine und arbeitete sich dann von seinem Hals bis zu den Leisten hinunter. Er fand Nightingales Handy und untersuchte es sorgfältig, bevor er es zurückgab. » Ein Ausweispapier mit Foto«, sagte er. Er war kein Engländer, wie Nightingale hörte. Vielleicht Serbe oder Bosnier.
Nightingale reichte dem Mann seinen Führerschein.
» Visitenkarte.« Der Mann streckte seine andere Hand aus. Nightingale nahm seine Brieftasche heraus und gab ihm eine.
Der zweite Mann ging langsam um den Wagen herum und überprüfte ihn von innen und von außen. Nightingale nickte lächelnd, doch keiner beachtete ihn.
Der Leibwächter mit dem Führerschein ging die Treppe hinauf zu einer Frau, die gerade aus dem Haus gekommen war. Sie trug ein schwarzes Kostüm, dessen Rock unmittelbar über dem Knie endete, eine weiße Bluse und schwarze, hochhackige Schuhe. Ihr blondes Haar war mit einem schwarzen Band zurückgebunden.
Als der Mann ihr den Führerschein und die Visitenkarte gab, hob ein Windstoß sein Jackett hinten an, und Nightingale erhaschte einen Blick auf eine schwarze Pistole in einem Halfter aus Leder und Nylon. Schien eine Glock zu sein. Die Frau betrachtete Führerschein und Karte und winkte Nightingale dann, die Treppe hinaufzukommen. Er wollte ihr die Hand schütteln, aber sie gab ihm einfach nur seinen Führerschein und seine Karte zurück. » Ich heiße Sylvia, Mr. Nightingale. Es gibt bestimmte Hausregeln, die Sie bis ins Detail befolgen müssen, wenn Sie sich mit Mr. Mitchell treffen wollen.«
» Ich verstehe.«
» Nein, durchaus nicht«, entgegnete sie. » Sie werden alles tun, worum ich Sie bitte, oder Sie dürfen nicht mit ihm sprechen.« Sie drehte sich um und ging ins Haus zurück. Noch zwei Männer in schwarzen Anzügen und mit dunklen Brillen standen in der großen Eingangshalle aus weißem Marmor, die Hände über dem Schritt verschränkt. Der Eingangsbereich wurde von zwei Überwachungskameras aus Edelstahl erfasst.
Eine marmorne Wendeltreppe, auf die eine weitere Überwachungskamera gerichtet war, führte in die Obergeschosse, und ein gläserner Leuchter, der aussah wie ein erstarrter Wasserfall, hing von der Mitte der Decke herab. Ein halbes Dutzend jadeschwarze Türen mit glänzend weißen Klinken gingen von der Eingangshalle ab. Mit auf dem Marmor klackenden Schritten ging Sylvia in die Mitte der Halle und blieb unter dem Glaswasserfall stehen. Sie wandte sich Nightingale zu und zeigte auf eine Tür. »
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