Hoellennacht
gefragt, warum Sie das so empfunden haben? Wie er diese Loyalität bei Ihnen ausgelöst hat?«
» Es war eben seine Art«, sagte Tyler.
» Charisma«, meinte Nightingale.
» Ja, Charisma.« Tyler stellte sein Bier ab und lochte die restlichen Kugeln ein. Dann streckte er grinsend die Hand aus. Nightingale seufzte und gab ihm zwanzig Pfund. » Nochmal um den gleichen Einsatz?«, fragte Tyler.
» Ja, warum nicht?«, antwortete Nightingale und sah zu, wie Tyler die Kugeln wieder aufbaute. Er hatte um ein Corona gebeten, aber das Beste, was Tyler ihm anbieten konnte, war ein Budweiser gewesen. » Sie waren derjenige, der ihn gefunden hat, oder?«
» Ja. Eine Riesensauerei.«
» Er war allein im Haus?«
Tyler nickte. » Er hatte den Woodhouses den Abend frei gegeben.«
» Die Woodhouses? Das war das Paar, das sich um das Haus gekümmert hat, oder?«
» Millie und Charlie. Die hatten sogar noch länger für ihn gearbeitet als ich. Bis vor ein paar Jahren hatte er sehr viel Personal, aber dann hat er wie gesagt immer mehr Leute entlassen.«
» Wissen Sie warum?«
» Ihm ist das Geld ausgegangen. Er hat mich immer bezahlt, und Geld für Bücher schien bei ihm nie knapp zu sein, aber ich glaube, er hat beim Zusammenbruch des Aktienmarkts eine Menge verloren.«
» Wie sind Sie ins Haus gekommen?«
» Ich hatte einen Schlüssel. Ich bin wie immer in die Küche gegangen, um mit Millie einen Kaffee zu trinken, aber sie war nicht da. Ich habe bis etwa zehn gewartet und dann bin ich nach oben gegangen und habe ihn gefunden.«
» Gab es einen Abschiedsbrief?«
» Nein.«
» Sind Sie sicher?«
» Nennen Sie mich etwa einen Lügner?«
» Ich denke nur, dass er und Sie sich nahestanden, Alfie. Selbstmörder wollen ihre Handlung normalerweise erklären– sagen, warum sie es getan haben. Wenn er irgendjemandem etwas mitgeteilt hätte, dann Ihnen, oder?«
Tyler seufzte und richtete sich auf. » Es gab einen Brief, aber der hat nichts erklärt.«
» Und Sie haben wirklich keinen Umschlag für mich auf den Kaminsims im Salon gestellt?«
Tyler scharrte unbehaglich mit den Füßen.
» Tyler, Sie können mir ebenso gut alles erzählen. Es kann kein anderer als Sie gewesen sein. Sie haben die Leiche gefunden, und die Polizei hat keinen Umschlag gesehen, als sie da war.«
Tyler nickte langsam. » Na gut«, sagte er. » Es gab einen Brief für mich und einen Umschlag für Sie. Im Brief bat Mr. Gosling mich, abzuwarten, bis die Polizei und alle anderen wieder weg wären, dann den Umschlag auf den Kaminsims zu stellen und das Haus abzuschließen.«
» Und was haben Sie mit Ihrem Brief gemacht?«
» Ihn verbrannt. Darum hat er mich gebeten.«
» Und was stand sonst noch darin?«
» Einmal, dass ich den Bentley behalten kann. Dann hat er sich für die Sauerei entschuldigt. Mir aufgetragen, die Polizei zu rufen. Und es war noch etwas Geld für die Woodhouses beigelegt.«
» Wo sind die jetzt?«
» Keine Ahnung. Sie sind einfach gegangen. Ich glaube, sie haben ein Haus im Lake District.« Tyler bereitete den Tisch wieder vor und griff nach seinem Queue.
» Im Jahr vor seinem Tod oder so hat er eine Menge Bücher gekauft, richtig?«, fragte Nightingale.
» Wem sagen Sie das«, meinte Tyler. » Ich musste durchs ganze Land fahren und jede Woche oder so zum Flughafen und wieder zurück.«
» Was ist mit dem Tagebuch, das ein Mann namens Sebastian Mitchell geschrieben hat? Haben Sie das jemals gesehen? Ein großes, ledergebundenes Buch, in Spiegelschrift auf Lateinisch verfasst. Ich glaube, es war das Letzte, was Gosling gelesen hat.«
» Wie schon gesagt, er hat mir seine Bücher nicht gezeigt. Aber ich war ein paarmal bei Mitchell zu Hause.«
Nightingale blieb der Mund offen stehen. » Sie haben ihn kennen gelernt?«
» Kennen gelernt hab ich ihn nie, aber ich bin zu seinem Haus gefahren. Liegt bei Wivenhoe in Essex. Der reinste Palast, mein lieber Scholli! Und sehr scharf bewacht.«
52
Nightingale fuhr bis zu einem hohen, schmiedeeisernen Tor, das in eine drei Meter hohe Backsteinmauer eingelassen war. Er stieg aus dem MGB , ging zu einer kleinen Gegensprechanlage, die links in den Torpfosten eingebaut war, und drückte die Taste. Es summte, und er hörte ein statisches Rauschen, aber keiner sagte etwas. Nightingale beugte sich näher an das Sprechgitter heran. » Hallo«, sagte er. Es kam keine Antwort, wieder nur statisches Rauschen. An einem Stahlpfosten auf der anderen Seite der Mauer hing eine
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