Hoellennacht
worden sein, oder?«
» Offensichtlich«, sagte Nightingale.
Hoyle richtete die Taschenlampe auf ihn, und Nightingale beschirmte die Augen mit der Hand. » Sie konnten also die Täfelung nicht abnehmen, ohne das Holz zu beschädigen, oder?«
Er fuhr mit der Taschenlampe über die makellose Walnusstäfelung. » Das hier ist Schreinerhandwerk vom Feinsten«, sagte er. » Das kann man nicht einfach auseinanderreißen und wieder zusammensetzen.«
» Und das heißt?«
» Das heißt, ich glaube nicht, dass sie die Kabel der Erdgeschoss-Kameras durch den Flur verlegt haben können. Dabei wäre zwangsläufig die Täfelung zerstört worden.«
Nightingale runzelte die Stirn. » Okay. Die Kameras sind also im Obergeschoss drahtlos und im Erdgeschoss verkabelt. Aber die Kabel laufen nicht durch den Flur.« Plötzlich dämmerte es ihm. » Es gibt einen Keller«, sagte er.
» Genau«, meinte Hoyle. » Sie haben die Kabel direkt nach unten geführt.«
Sie gingen in die Haupteingangshalle zurück. » Wenn es eine Treppe in den Keller gäbe, wäre die dann nicht hier?«, fragte Nightingale.
Hoyle ging an der Täfelung entlang und klopfte alle paar Schritte dagegen. Jedes Klopfen erzeugte den gleichen, dumpfen Ton.
» Suchst du nach einer Geheimtür?«, fragte Nightingale.
» Hast du eine bessere Idee?« Hoyle machte mit dem Klopfen weiter.
» Warum sollte er denn den Eingang zu seinem eigenen Keller verstecken?«
» Wer weiß schon, was in seinem Kopf vor sich ging? Wir haben uns doch schon darauf geeinigt, dass er verrückt war, oder?« Und Hoyle legte erneut los mit dem Klopfen.
» Wir wissen ja nicht einmal, ob es überhaupt einen Keller gibt«, sagte Nightingale.
» Ein altes Haus wie dieses hier muss einen haben«, gab Hoyle zurück. » Damals hat man die Grundmauern immer sehr tief gelegt.« Er ging ein paar Schritte weiter und klopfte erneut. Diesmal klang es hohl. Hoyle grinste und klopfte noch einmal. Der Klang war eindeutig anders, er schien fast widerzuhallen.
» Das soll wohl ein Scherz sein.« Nightingale klopfte neben sich gegen die Wand. Ein dumpfer Ton. Hoyle klopfte. Ein hohles Echo.
Hoyle fuhr mit den Fingerspitzen über die Wandtäfelung und drückte dann dagegen. Nichts rührte sich.
» Versuch einmal zu ziehen«, sagte Nightingale.
Hoyle tat es. Man hörte ein Klicken, und ein Abschnitt der Wand schwang auf. » Sesam öffne dich«, flüsterte er. Er grinste Nightingale triumphierend an. » Was würdest du ohne mich bloß tun, Jack?«
12
Nightingale folgte Hoyle in den Keller hinunter. Die Treppe war aus Holz, links lief ein Messinggeländer entlang. Er hielt die Hand darauf gelegt und tastete bei jeder Stufe mit dem Fuß vor, bevor er ihr sein Gewicht anvertraute. Im Licht ihrer Taschenlampen erkannten sie Bücher, lauter Regale voller Bücher, die zum größten Teil ledergebunden waren.
» Warum hat er denn seine Bibliothek hier unten untergebracht?«, fragte Nightingale.
» Weil er verrückt war. Verrückte tun verrückte Dinge.«
Auf halber Höhe der Treppe blieben sie stehen und leuchteten ihre Umgebung mit den Taschenlampen ab. Ein kompletter Flügel des Hauses schien voll unterkellert zu sein. Die Bücherregale zogen sich bis weit nach hinten, und entlang einem Mittelgang standen zwei Reihen mit Schaukästen. Eine Sitzecke war mit zwei großen, roten Chesterfieldsesseln und einem Couchtisch eingerichtet, auf dem weitere Bücherstapel lagen. Ein riesiger Schreibtisch war mit Zeitungen bedeckt. Sie sahen einen antiken Globus, der über einen Meter hoch war, und einen großen Eichentisch mit mehr als einem Dutzend Kerzen darauf. Geschmolzenes Wachs war davon heruntergeflossen und hatte auf dem Boden Lachen gebildet.
» Das ist ja total abgefahren«, sagte Nightingale.
» Sieht so aus, als hätte er hier unten viel Zeit verbracht«, meinte Hoyle. » Komm, schauen wir uns mal um.«
Hoyle ging die Treppe weiter hinunter. Nightingale rümpfte die Nase. Es lag ein modriger Geruch in der Luft, der einen unangenehmen Geschmack im Mund hinterließ. Es war nicht nur der Geruch alter Bücher oder von Kerzenruß, sondern etwas Bitteres, Beißendes. Als er schluckte, hob sich ihm der Magen, und er musste sich zusammenreißen, um nicht zu würgen.
Hoyle kam unten an und ging zwischen den beiden Reihen von Schaukästen hindurch. » Jack, das musst du sehen«, rief er.
Nightingale trat zu ihm vor eine Vitrine, deren Fächer mit Menschenschädeln unterschiedlicher Größe gefüllt waren, manche so
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