Hoellennacht
zurück. » Was meinst du, wie viele Bücher hier wohl stehen? Tausende? Zehntausende?«
» Viele«, sagte Hoyle.
» Die kann er doch gewiss nicht alle gelesen haben.«
» Vielleicht war er ein Schnellleser«, überlegte Hoyle laut. » Vielleicht waren sie eine Geldanlage. Vielleicht hat er sie pro Meter gekauft und nie gelesen.«
Sie gingen an den Schaukästen entlang. » Er war ein Sammler, das ist jedenfalls sicher«, sagte Nightingale. In einem Kasten lag etwas, was wohl Schrumpfköpfe waren, ledrige, faustgroße Klumpen mit strähnigem Haar und schweineähnlichen Nasen. In der nächsten Vitrine fanden sie Steine, in denen Nightingale dann Fossilien erkannte. Er schaute sie sich genauer an. Sie sahen wie Vögel aus, hatten aber lange Klauen und Zähne.
» Vampirfledermäuse?«, fragte Hoyle nur halb im Scherz.
» Ich hab verdammt nochmal keine Ahnung, was das ist«, antwortete Nightingale. » Es sind Fossilien, also müssen sie alt sein. Aber ich glaube nicht, dass Vögel jemals Zähne hatten, oder?«
» Die sehen eher wie Eidechsen aus als wie Vögel«, murmelte Hoyle. Er leuchtete mit dem Strahl seiner Taschenlampe durch den Keller bis zur hinteren Wand. » Das sieht aus wie das Überwachungssystem«, sagte er. An der Wand hingen ein halbes Dutzend LCD -Monitore in zwei Dreierreihen.
Die beiden Männer gingen zwischen den Schaukästen hindurch dorthin. Als sie näher kamen, entdeckten sie einen schwarzen Holzschreibtisch mit einem Holzstuhl und einer großen Videokonsole aus Edelstahl mit beschrifteten Schaltern. Nightingale fuhr mit dem Finger darüber. » Damit steuert man die Überwachungskameras«, sagte er. » Schau dir das einmal an. Da sind… wie viele? Vierundzwanzig Kameras?«
» Achtundzwanzig«, erwiderte Hoyle einen Moment später. » Overkill. Würdest du nicht auch sagen?«
» Ja. Er hat bestimmt oft hier unten gesessen und die Bildschirme beobachtet. Aber wonach hat er Ausschau gehalten?«
» Hatte er Angst, dass jemand ihm seine Sammlung klauen würde?«
» Ich glaube nicht, dass er Angst hatte«, antwortete Nightingale. » Ich glaube, er wollte einfach nur wissen, was in seinem Haus vor sich ging. Er kann ja nicht allein gewesen sein. Er muss Personal gehabt haben– Reinigungskräfte, Gärtner, einen Chauffeur, einen Verwalter. Vielleicht hat er denen nicht getraut. Vielleicht hat er überhaupt niemandem getraut.«
» Aber zum Zeitpunkt seines Todes war er allein im Haus«, sagte Hoyle. » Das stand zumindest in der Akte.«
» Er muss das Personal entlassen haben«, meinte Nightingale.
Hoyle deutete auf die Reihen von Schaukästen hinter ihnen. » Und was ist das hier für ein Ort? Was hat Gosling hier unten getrieben? Es ist ja keine Ausstellung. Er hat das alles versteckt gehalten.«
» Du weißt genau, was es ist«, gab Nightingale zurück. » Es ist ein Supermarkt der Hexerei, nichts anderes. Ein Heiligtum der schwarzen Magie. Ainsley Gosling war ein Satanist, und hier ist er seinem Gewerbe nachgegangen.«
» Es gibt keine Magie«, sagte Hoyle. » Rauch, Spiegel und Aberglauben, das ist schon alles. Wir sind hier im einundzwanzigsten Jahrhundert, Jack, im dritten Jahrtausend. Magie gehört ins finstere Mittelalter.«
» Aber diese Kristallkugel hat dir einen Riesenschreck eingejagt, oder?«
» Das war etwas anderes. Das war keine Magie, es war…« Er hielt inne und suchte nach Worten. » Ich weiß nicht, was das war. Vielleicht hattest du ja recht, vielleicht hat mir das Licht einen Streich mit meinem Spiegelbild gespielt.«
» Okay, aber du hast kirchlich geheiratet, oder?«
» Ja, und?«
» Das war eine religiöse Zeremonie vor Gott.«
» Das ist etwas anderes«, sagte Hoyle und rieb seinen Ehering.
» Nein, es ist genau das Gleiche. Was du in der Kirche mit Anna gemacht hast, war eine Zeremonie mit allem Rüstzeug der Religion. Und erinnerst du dich an Sarahs Taufe? Ich musste dem Teufel und seinen Werken widersagen.«
» Das sind doch einfach nur Worte, Jack. Alle sagen › bis der Tod uns scheidet‹, aber die meisten Ehen enden mit der Scheidung. Das sind Worte, keine Zaubersprüche.« Er umfasste mit einer Handbewegung die Regale voller Bücher. » Das da ist Quatsch. All das hier. Und du weißt, dass es Quatsch ist.«
» Ich behaupte ja gar nicht, dass es kein Quatsch ist«, erwiderte Nightingale. » Ich sage nur, dass Gosling offensichtlich daran geglaubt hat, das ist alles. Und vielleicht ist es ja dieser Glaube, der ihn zum Selbstmord veranlasst
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