Hoellennacht
jemanden«, sagte er. » Oder auf etwas.« Er verzog das Gesicht zu einer Fratze, zappelte mit den Händen in der Luft herum und stöhnte.
» Hier ist ein Mann gestorben, Robbie, das wollen wir mal nicht vergessen.«
» Er hat sich umgebracht«, entgegnete Hoyle, plötzlich ernst. » Und jeder, der das tut, verliert jedes Mitleid, das ich vielleicht mit ihm hätte haben können. Selbstmord ist der Ausweg von Feiglingen, Jack, die es den Lebenden überlassen, hinter ihnen aufzuräumen.«
» Du kennst doch die Fakten gar nicht«, sagte Nightingale.
» Ich weiß, dass er dir übel mitgespielt hat«, gab Hoyle zurück. » Er hat behauptet, dein Vater zu sein, hatte aber nicht den Anstand, es dir ins Gesicht zu sagen. Er hätte sich wenigstens mit dir zusammensetzen und deine Fragen beantworten können, bevor er die schmutzige Tat beging.«
» Ja, vielleicht.«
» Nicht vielleicht«, erklärte Hoyle. » Nur Feiglinge begehen Selbstmord.«
» Manchmal braucht man Mut dazu«, meinte Nightingale leise. » Manchmal ist es der einzige Ausweg.«
» Also, für mich wäre es ausgeschlossen, mich umzubringen und meine Mädels mit der Frage zurückzulassen, warum ich das getan habe«, sagte Hoyle.
» Er hat erklärt, warum«, entgegnete Nightingale. » Darum hat er ja die DVD aufgenommen.«
» Du nimmst ihm das doch nicht etwa ab?«, fragte Hoyle verächtlich. » Du glaubst doch nicht wirklich, dass an deinem Geburtstag ein Teufel kommt und deine Seele mitnimmt?«
Nightingale blickte finster. » Natürlich nicht.«
» Na also. Die DVD ist ein Haufen Scheiße. Er war verrückt, und– genetischer Vater hin oder her– er versucht einfach nur, dich von jenseits des Grabes seelisch und geistig fertigzumachen.«
» Und warum?«
» Er war wahnsinnig, Jack. Bei einem Wahnsinnigen gibt es kein › warum‹.« Er nickte zur Tür hin. » Komm, schauen wir uns mal unten um.«
Nightingale folgte Hoyle die Treppe hinunter. Hoyle fuhr mit den Händen über die getäfelten Wände. » Das ist echte Qualität«, sagte er. » Hier war kein polnischer Bautrupp am Werk– das hier ist Originalarbeit. Was meinst du, wie alt das ist?«
» Die Polizisten haben sechzehntes Jahrhundert gesagt«, antwortete Nightingale. » Das Haus trug damals einen anderen Namen, es war nach dem hiesigen Adelsgeschlecht benannt.«
» He, meinst du, dieser Besitz wird dich zum neuen Landadligen machen? Vielleicht darfst du dann die Dorfmädels entjungfern. Hast du eine Ahnung, wie viel Land dazugehört?«
» Ich habe nicht gefragt«, sagte Nightingale.
» Man könnte vielleicht einen Golfplatz daraus machen«, meinte Hoyle. » Das hier wäre ein tolles Clubhaus.«
Sie gingen in die Küche. Hoyle machte eine Tür auf und stieß auf eine Speisekammer mit leeren Regalen, während Nightingale eine andere Tür öffnete, hinter der ein gefliester Raum lag, der zwar mit einem Waschmaschinenanschluss versehen, ansonsten aber wie der Rest des Hauses leergeräumt war. Hinter der Speisekammer lagen drei kleine Zimmer. An den Wänden war zu sehen, wo einmal Poster und Bilder gehangen hatten, und Nightingale kam zu dem Schluss, dass hier die Dienstbotenkammern gewesen waren. Eine Tür führte nach hinten in den Garten hinaus. Sie war mit drei Schlössern und zwei Riegeln gesichert, und eine Überwachungskamera war darauf gerichtet. » Die hier ist nicht drahtlos«, sagte Hoyle und leuchtete die Kamera mit der Taschenlampe an. » Siehst du das Kabel da?«
Nightingale blickte hoch. Hinter der Kamera verschwand eine schwarze Leitung unter dem Verputz. » Und was bedeutet das?«, fragte er.
» Das bedeutet, dass die Bildschirme wahrscheinlich irgendwo unten sind«, antwortete Hoyle. » Warst du schon in allen Zimmern?«
» Noch nicht«, sagte Nightingale.
» Dann wollen wir uns mal umschauen«, meinte Hoyle. Sie gingen in den Salon zurück und dann durch den Flur in einen großen, mit Bücherregalen und Schränken aus Teakholz ausgestatteten Raum. » Die Bibliothek?«, fragte Hoyle.
» Sieht so aus«, antwortete Nightingale.
Dahinter lag ein weiterer Salon mit einem riesigen Kamin, und dann kam noch ein kleinerer Raum, in dem einmal ein Snooker-Tisch gestanden haben musste, weil noch immer die hölzerne Zähltafel an der Wand hing und in der Mitte der Decke eine rechteckige Lampe befestigt war. Über der Tür befand sich eine Überwachungskamera.
Hoyle ging in den Flur zurück. » Das Haus ist alt, die Kameras müssen also später als die Wandtäfelung verlegt
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