Hoellennacht
gegangen.« Er sah aus wie ein ehemaliger Boxer, mit kantigem Kinn und flacher Nase. Er war einen halben Kopf kleiner als Nightingale, aber stämmig gebaut, und seine mächtigen Unterarme wölbten sich unter der Klerikertracht. Sein helles, graubraunes Haar war schütter. Er betrachtete Nightingale mit einem unerschrockenen Blick aus blassblauen Augen, aber sein Lächeln war das eines gütigen Onkels.
» Ich war… tief in Gedanken«, sagte Nightingale. » Meilenweit weg.«
» Ich habe die Lampen angehen sehen, und wir hatten in letzter Zeit eine Menge Probleme«, sagte der Pfarrer. » Wenn die Zeiten gut sind, haben wir fast an jedem Wochenende Vandalismus, aber wenn sie schlecht sind, schaffen wir es kaum, dass das Blei auf dem Dach bleibt.«
» Es tut mir leid, ich sollte wohl nicht hier sein«, sagte Nightingale. Er zeigte auf das Grab. » Meine Eltern, ich wollte…« Er zuckte die Schultern. » Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich wollte.«
» Sie sind kein regelmäßiger Besucher meiner Kirche, oder?«
» Leider nicht. Ein verlorenes Schaf.«
» Keiner ist je wirklich verloren«, gab der Pfarrer zurück. » Der Hirte wird Sie immer willkommen heißen.« Er streckte die Hand aus. » Timothy Smith.«
Nightingale schüttelte sie. » Jack Nightingale.«
Der Pfarrer betrachtete den Grabstein. » Vierzehn Jahre ist das jetzt her«, sagte er. » Wie die Zeit vergeht.«
Nightingale sah den Mann an, aber das Gesicht kam ihm nicht bekannt vor. Er konnte sich kaum an die Beerdigung erinnern. Er hatte zwischen seiner Tante und seinem Onkel auf einer harten Kirchenbank gesessen, und als sie nach dem Gottesdienst draußen waren, hatte Onkel Tommy ihm gezeigt, wie er eine Handvoll Erde ins Grab werfen sollte. Die Erde war schlammig gewesen, und er hatte sich mindestens einen Monat lang nicht überwinden können, seine Schuhe sauber zu machen. Aber er konnte sich weder an das Gesicht des Mannes erinnern, der die Beerdigung gehalten hatte, noch an irgendetwas, was er gesagt hatte. » Sie haben meine Eltern gekannt?«
» Natürlich«, antwortete der Pfarrer. » Sie waren regelmäßige Kirchgänger.«
» Nicht, so lange ich zu Hause war«, bemerkte Nightingale. » Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mit mir in die Kirche gegangen sind.«
Der Pfarrer nickte. » Sie fingen etwa ein Jahr vor ihrem Tod an, regelmäßig zur Kirche zu kommen.«
» Damals habe ich studiert«, meinte Nightingale. » Komisch, ich habe nie gewusst, dass sie fromm waren.«
» Wenn die Leute älter werden, wenden sie sich oft wieder mehr der Kirche zu«, sagte der Pfarrer. » Wenn ihnen ihre eigene Sterblichkeit bewusst wird, suchen sie nach Lösungen.«
» Eine Rettungsleine?«, fragte Nightingale.
» Vielleicht«, erwiderte der Pfarrer. » Wir bekehren die Leute da, wo wir sie finden.«
Nightingale hielt seine Zigarette hoch. » Ist es okay, dass ich rauche?«
Der Pfarrer lächelte. » Natürlich.« Er zeigte auf die Kirche. » Aber nicht drinnen, da gilt das gesetzliche Rauchverbot.« Er blickte sehnsüchtig auf die Zigarette in Nightingales Hand.
» Rauchen Sie?«, fragte Nightingale.
» Ich versuche, es sein zu lassen«, antwortete der Pfarrer, » und für die Fastenzeit gebe ich es jedes Jahr ganz auf.« Nightingale hielt ihm das Päckchen hin und der Pfarrer nahm eine Zigarette heraus. Nightingale steckte sie ihm an. » Bei Marlboro fühle ich mich immer wie ein Cowboy«, sagte der Pfarrer.
» Anfangs habe ich nur wegen des Päckchens geraucht«, erzählte Nightingale. » Ich habe eine Weile gebraucht, um mich an den Qualm zu gewöhnen.«
Die beiden Männer stießen Rauch aus.
» Kann ich Ihnen eine Frage stellen?«, fragte Nightingale.
» Natürlich«, sagte der Pfarrer. » Alles außer Geographie– darin war ich immer schlecht. Wie soll man sich nur all diese Hauptstädte merken?«
Nightingale kicherte. » Es ist ein bisschen esoterischer«, sagte er. » Ich wollte Sie fragen, ob Sie an den Teufel glauben.«
Der Pfarrer runzelte die Stirn. » Wenn man an den HERRN glaubt, muss man auch an den Teufel glauben. Die beiden kommen im Doppelpack, wenn ich das mal so sagen darf.«
» Mit Hörnern, Quastenschwanz und einer Gabel?«
» Nicht unbedingt«, antwortete der Pfarrer. » Aber wer könnte bezweifeln, dass es das Böse in der Welt gibt?«
» Ich glaube an das Böse. Aber steckt das Böse im Menschen, oder gibt es eine äußere Kraft, die ihn verdirbt?«
» Als nur Adam und Eva da waren, gab es nichts Böses. Das
Weitere Kostenlose Bücher