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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.« Beim Reden streichelte sie den Hund. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert– sie waren lang und spitz, fast wie Krallen. Sie sah, dass er sie anschaute, und hielt die rechte Hand hoch. » Gefallen sie dir?«
    » Sie fallen auf.«
    Sie krümmte die Fingerspitzen und bewunderte sie. » Soll ich dich kratzen?«, fragte sie.
    » Was?«
    » Das ist es, was die Männer sagen, wenn sie meine Nägel sehen. Sie fragen sich, wie es wohl wäre, wenn ich ihnen damit den Rücken zerkratzen würde. Hast du das gerade eben gedacht?«
    Es war genau das, was Nightingale gedacht hatte, aber er schüttelte den Kopf.
    » Was meinst du, warum wünschen sich Männer eigentlich immer, dass Frauen ihnen wehtun?«
    » Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt«, gab Nightingale zurück.
    » Es stimmt, glaub mir«, sagte das Mädchen. Sie streichelte den Hund wieder. » Ich glaube, Männer wollen wie Hunde behandelt werden. Du streichelst sie, fütterst sie und gehst mit ihnen spazieren, aber von Zeit zu Zeit musst du sie bestrafen, um ihnen zu zeigen, wer der Boss ist.«
    Nightingale kicherte. » Na, viel Glück beim Philosophieren«, sagte er und ging weiter.
    » Pass auf dich auf«, rief ihm das Mädchen nach.
    » Du auch.« Nightingale rauchte beim Gehen, tief in Gedanken versunken. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass jemand ihm gesagt hatte, der Teufel werde ihn holen. Erst der Polizist in Gosling Manor und jetzt das Mädchen mit dem Hund. Bildete er sich das nur ein? Es war das, was Simon Underwood im Traum unmittelbar vor seinem Sturz aus dem Fenster gebrüllt hatte. Aber das war ein Traum gewesen, oder ein Albtraum, und jetzt war er hellwach, wenn auch leicht betrunken. » Vielleicht werde ich einfach nur verrückt«, murmelte er vor sich hin.
    » Wir sind alle verrückt«, hörte er eine raue Stimme.
    Nightingale fuhr zusammen. Ein Obdachloser saß im Eingang einer Eisenwarenhandlung, eine Flasche Apfelwein in der Hand. Er war um die sechzig, hatte langes, graues Haar und einen struppigen Bart voller Krümel. Um die Beine hatte er sich mit Schnur Packen von Zeitungen gebunden.
    » Die ganze Welt ist verrückt geworden«, sagte er und schwenkte die Flasche. » Gott hat uns verlassen, und Jesus sind wir inzwischen egal. Sie lassen uns bis zum Ende aller Tage in diesem Sündenpfuhl stecken.«
    » Das klingt ungefähr richtig«, meinte Nightingale. Er holte seine Brieftasche heraus, gab dem Mann einen Zehnpfundschein und ging weiter.

18
    Nightingale hatte nicht gelogen, als er Jenny sagte, er wolle nicht fahren. Und er war auch ehrlich gewesen, als er sagte, er brauche etwas frische Luft, auch wenn er sich nach dem Verlassen des Weinlokals als Allererstes eine Zigarette ansteckte. Ebenso entsprach es der Wahrheit, als er dem Mädchen im Ladeneingang sagte, er wisse nicht, wohin er gehe. Nach seiner Meinung tat er genau das, was er angekündigt hatte: Er ging ein paar Schritte spazieren, um seine Gedanken zu sammeln. Aber sein Unterbewusstsein hatte andere Pläne mit ihm. Es führte ihn zu seinem Wagen, eine halbe Stunde später fuhr er durch Londons Osten, und zehn Minuten darauf parkte er vor dem Friedhof, auf dem seine Eltern begraben lagen, und er fragte sich, warum er seit der Beerdigung niemals dort gewesen war.
    Er stieg aus dem MGB , schloss ab, steckte die Hände in die Taschen seines Regenmantels und ging zu dem efeubewachsenen, steinernen Torbogen, der auf den Friedhof führte. Das Haus, in dem er aufgewachsen war, lag nur eine Meile von der verwitterten, grauen Steinkirche entfernt, aber er war nur ein einziges Mal hier gewesen, nämlich zur Beerdigung. Seine Eltern hatten nie irgendwelches Interesse an Religion gezeigt, und Nightingale war von der Entdeckung überrascht gewesen, dass sie nur drei Jahre vor ihrem verfrühten Tod das Doppelgrab gekauft hatten. Ein Tankwagen war auf ihr Auto aufgefahren und hatte sie zerquetscht. Später hatte der Fahrer geschworen, er habe weder die rote Ampel noch den Wagen gesehen. Er hatte nichts getrunken gehabt, ein Drogentest war negativ gewesen, und sein Fahrtenschreiber hatte ausgewiesen, dass er vor dem Unfall erst vier Stunden gefahren war. Der Coroner hielt als Unfallursache einen gefährlichen Moment der Unkonzentriertheit fest, und der Fahrer kam wegen fahrlässiger Tötung für zwei Jahre ins Gefängnis. Es war einfach eines dieser Dinge, die leider manchmal passieren, hatten nach der Beerdigung und dem anschließenden Empfang

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