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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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gerne einen Kaffee oder einen Tee?«, fragte Jenny die beiden Detectives. Sie ging quer durch den Raum zu Nightingale und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    » Nein, vielen Dank«, antwortete Evans.
    » Was ist mit Anna? Wer gibt ihr Bescheid?«, fragte Nightingale.
    » Superintendent Chalmers ist jetzt bei ihr«, erklärte Evans.
    » Chalmers?«, fragte Nightingale. » Den kann sie nicht ausstehen.«
    » Sie haben doch als Polizeivermittler bei Geiselnahmen gearbeitet, oder?«, fragte Derbyshire.
    » In einem anderen Leben.«
    » Sind Sie nicht der Mann, der den Pädophilen getötet hat? Den Banker, der seine Tochter missbraucht hat?«
    » Angeblich«, antwortete Nightingale.
    » Man sagt, Sie hätten ihn aus einem Hochhausfenster geworfen«, meinte Derbyshire.
    » Wer ist man?«, gab Nightingale zurück.
    » Ich an Ihrer Stelle hätte dasselbe getan«, sagte Derbyshire.
    » Die meisten von uns«, stimmte Evans zu. » Wenn wir den Mumm dazu hätten. Ich habe selber Kinder. Zwei Mädchen. Wenn jemand die anrührte…«
    Nightingale richtete sich auf. » Gibt es sonst noch etwas, Leute? Brauchen Sie irgendwas von mir?«
    » Wir gehen einfach nur offenen Fragen nach«, sagte Evans.
    » Aber es gibt nichts Auffälliges, oder? Es war einfach ein Unfall?«
    » Gibt es noch etwas, worüber wir Bescheid wissen sollten?«, fragte Evans.
    Nightingale zuckte die Schultern, sagte aber nichts.
    » Hat er nebenbei Dinge für Sie erledigt?«, fragte Evans.
    » Robbie hat nie krumme Sachen gemacht«, antwortete Nightingale.
    » Wir tun alle mal einem Freund einen Gefallen, vor allem, wenn er früher selber Polizist war«, meinte Derbyshire.
    » Ich habe ihn nie um solche Gefälligkeiten gebeten. Das war nicht nötig.«
    » Nehmen Sie es nicht übel«, sagte Evans.
    » Das tue ich nicht«, antwortete Nightingale. » Danke für…« Er ließ den Satz unbeendet. Es gab keinen Grund, ihnen zu danken: Sie taten nur ihre Arbeit.
    Als die beiden Detectives weg waren, ging Nightingale in sein Büro und zog die unterste Schublade seines Schreibtischs auf. Dort bewahrte er eine Flasche Brandy für Klienten auf, die nach einer schlechten Nachricht einen Schnaps brauchten. Die nahm er jetzt heraus. » Möchtest du auch einen?«, fragte er Jenny.
    Jenny nickte. » Ich kann das gar nicht glauben«, sagte sie.
    Nightingale schüttete Brandy in zwei Gläser und reichte ihr eines. » Ich muss zu Anna fahren«, sagte er.
    » Sie muss am Boden zerstört sein. Drei Kinder. Die armen Kleinen.« Mit zitternder Hand kippte sie einen Schluck Brandy herunter. » Es fühlt sich so unwirklich an.«
    So war es immer, das wusste Nightingale. Als Polizeibeamter hatte er mehr als ein Dutzend Mal Familienmitgliedern die Nachricht von Todesfällen überbracht, und selten war ihm etwas anderes als Unglauben entgegengeschlagen. Mütter, Väter oder Kinder– die erste Reaktion war immer ein vollständiges Verschließen gegen die Wirklichkeit. Ihre Lieben konnten einfach nicht tot sein: Sie hatten sie doch gerade erst gesehen, mit ihnen gesprochen, sie waren auf dem Heimweg, sie waren doch gerade erst zur Arbeit gefahren. Wenn die Hinterbliebenen dann die Tatsache des Todes anerkannt hatten, kamen die Fragen– wie, warum, wann–, als könnten sie den Tod akzeptieren, wenn sie ihn nur verstünden. Aber meistens half das nichts. Die Akzeptanz kam nur mit der Zeit.
    Zwei junge Polizisten hatten Nightingale die Nachricht überbracht, dass seine Eltern gestorben waren. Sie waren mit einem seiner Dozenten in seinem Wohnheim aufgetaucht, hatten ihn gebeten, sich zu setzen, und ihm gesagt, sie hätten eine schlechte Nachricht seine Eltern betreffend. Obwohl sie ihm erklärt hatten, was geschehen war, hatte Nightingale trotzdem noch einmal zu Hause angerufen, weil er nicht hatte glauben wollen, dass seine Mutter und sein Vater wirklich tot waren. Als er dann heimgefahren war und im leeren Haus stand, hatte er noch immer halb und halb geglaubt, sie würden jeden Moment auftauchen, er würde gleich ihren Wagen in der Einfahrt hören, und sie würden lachend hereinstürmen und ihm sagen, alles sei ein schrecklicher Irrtum gewesen und sie seien gar nicht diejenigen gewesen, die bei dem Unfall ums Leben gekommen seien. Selbst bei der Beerdigung war ihr Tod ihm nicht real vorgekommen: Die Särge waren geschlossen, und ein Teil seiner selbst klammerte sich an der Hoffnung fest, dass jemand anders darin lag und seine Eltern noch immer lebten.
    » Warum, Jack?«, fragte Jenny. »

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