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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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zwanzigtausend Pfund verkauft?«
    Die Hände der Frau bewegten sich. Sie kratzte sich mit dem gelblichen Fingernagel des rechten Zeigefingers am linken Handgelenk. Nightingale hörte das Geräusch, ein trockener Laut, wie wenn man zwei Stöcke zusammenreibt.
    Nightingale versuchte, in ihr irgendeine Ähnlichkeit mit sich selbst zu erkennen. Sie hatte ein verkniffenes, eingefallenes Gesicht und eine scharfe, beinahe spitze Nase. Sie sah ganz anders aus als er.
    » Bist du meine Mutter?«, fragte er. » Beantworte mir wenigstens das. Hast du vor dreiunddreißig Jahren ein Kind zur Welt gebracht?«
    Er lächelte. » Es ist Freitag«, sagte er. » Freitag, der dreizehnte. Das ist doch komisch, oder? Dass ich dich ausgerechnet an einem Freitag, den dreizehnten besuche. Und in zwei Wochen werde ich dreiunddreißig Jahre alt. Weißt du, was an meinem dreiunddreißigsten Geburtstag mit mir passieren soll, Rebecca? Weißt du das?«
    Er konnte nicht sagen, ob sie auch nur eines seiner Worte gehört hatte. Er stand auf und ging zur Tür. Er packte den Türgriff, aber bevor er ihn herunterdrückte, drehte er sich um und sah sie an.
    » Kannst du mir nicht einmal Lebwohl sagen?«, fragte er.
    Die Frau rührte sich nicht.
    » Mum?« Das Wort fühlte sich sonderbar an. » Wenn du meine Mum bist, kannst du mir dann nicht einmal Lebwohl sagen? Du wirst mich nicht wiedersehen.« Er meinte, eine winzige Kopfbewegung zu bemerken, aber dann war sie wieder vollkommen still. Er ging zu ihrem Sessel und hockte sich so hin, dass sein Kopf auf gleicher Höhe mit ihrem war. Er bemerkte, dass sie um den Hals ein kleines Goldkruzifix an einem feinen Goldkettchen trug. » Mum, hörst du mich?«
    In ihren Augen glänzten Tränen, aber ihre Wangen waren trocken, so runzlig und trocken wie altes Pergament.
    » Warum hast du das getan? Warum hast du mich an Ainsley Gosling verkauft? Ich weiß, dass er dir zwanzigtausend Pfund gegeben hat. Hat er mich von dir gekauft?«
    Die rechte Hand der Frau zuckte und ihre Augen weiteten sich. Es war die erste Reaktion, die sie zeigte, seit er ins Zimmer gekommen war. Ihr Mund ging auf und er sah, dass sie keine Zähne hatte, sondern nur entzündetes Zahnfleisch.
    » Ainsley Gosling, den Namen kennst du doch, oder?«
    Der Mund der Frau öffnete sich noch weiter. Ihre Zunge war mit weißem Pelz bedeckt, und er roch ihren Atem, säuerlich wie alte Kotze.
    » Ainsley Gosling«, wiederholte Nightingale. » Er war der Mann, an den du mich verkauft hast, oder? Sag es mir.«
    Die Hände der Frau ballten sich zu arthritischen Fäusten, sie starrte Nightingale an und sah ihn jetzt zum ersten Mal. Sie holte tief Luft, machte den Mund auf und schrie los, als steckte sie am Spieß.

32
    Robbie Hoyle trank seinen Kaffee und blätterte den Aktenordner durch, den er aus dem Keller von Gosling Manor mitgenommen hatte. Ainsley Gosling schien nie auch nur eine einzige Quittung oder Rechnung weggeworfen zu haben. Es gab Reiseaufstellungen, die zeigten, dass er die Welt bereist hatte, Rechnungen aus Antiquitätenläden und Auktionshäusern, die bewiesen, dass er ein eifriger Sammler gewesen war, und eine Rechnung mit einer Adresse in der Ärztestraße Harley Street, die in einer fast unlesbaren Krakelschrift ausgestellt war. Hoyle kniff die Augen zusammen und entzifferte einige Worte, aber nicht alle. Es ging um die Behandlung in einer Privatklinik, und ein Wort war ziemlich eindeutig: Ultraschall.
    Er sah sich den Briefkopf noch einmal an. » Dr. Geoffrey Griffith, Frauenarzt.« Datiert war die Rechnung zwanzig Monate nach Nightingales Geburt. » Gefunden«, flüsterte er. Er konnte den Namen des Patienten nirgends sehen, aber er war sich ziemlich sicher, dass die Rechnung Nightingales verschollene Schwester betraf. Er nahm sein Handy heraus und scrollte durchs Adressbuch, bis er auf die Nummer seines Freundes stieß. Er hatte Verbindung, doch nach einem halben Dutzend Mal Läuten ging der Anruf auf die Mailbox. Hoyle sah auf die Uhr. In einer Viertelstunde fing seine Schicht an, und so leerte er seine Tasse, zahlte seine Rechnung und verließ das Coffee-House. Das Starbucks lag der Polizeistation gegenüber. Er schaute nach links und nach rechts. Ein Doppeldeckerbus fuhr vorbei und dann ein Lieferwagen des Evening Standard. In beide Richtungen rauschten Wagen vorbei. Er drückte auf Wahlwiederholung, aber der Anruf ging auch diesmal auf Nightingales Mailbox. Ein Lastwagen der Supermarktkette Tesco fuhr vorbei, dann ein

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