Hoellennacht
du mich nackt siehst«, antwortete Nightingale.
» Zeig sie mir!«
» Du bist schamlos«, sagte Nightingale. Er schob ihr das Album zu. » Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Jenny quietschte auf. » Mein Gott, warst du süß«, kommentierte sie das erste Bild. Sie blätterte um. » Oh– wie niedlich! Schau nur, wie du lächelst, und diese kleinen Pausbäckchen.« Sie blätterte zur nächsten Seite und lächelte, als sie die Bilder seiner Eltern sah. » Sie waren so stolz auf dich«, sagte sie. » Das sieht man in ihren Augen.«
» Ja, sie waren liebe Menschen«, sagte Nightingale.
Jenny nickte zum Vergrößerungsglas hinüber. » Aber jetzt mal ernsthaft, wozu brauchst du das?«, fragte sie.
» Du wirst mich auslachen.«
» Gott bewahre«, sagte sie.
Nightingale zog das Album über den Schreibtisch zu sich und blätterte zum ersten Foto, das ihn im Alter von einem Tag zeigte. » Ich bin mir verdammt nochmal ziemlich sicher, dass ich kein Pentagramm eintätowiert habe«, sagte er. » Das wäre mir beim Sport in der Umkleide aufgefallen, oder jemand hätte es in all den Jahren erwähnt. Ich meine, ich hatte in meiner Dienstzeit bei der Metropolitan Police vier komplette Gesundheitschecks, und die Ärzte dort sind verdammt gründlich. Die übersehen nicht viel.«
» Und?«
» Und da hatte ich gedacht, es ist vielleicht irgendwo, wo man es nicht sehen kann. Vielleicht auf dem Kopf, unter den Haaren.«
» Du hast recht«, sagte Jenny.
» Ach ja?«
» Ja, ich habe wirklich Lust, dich auszulachen.«
Nightingale lächelte verkniffen. » Danke.«
» Na ja, wenigstens ist es besser, du kontrollierst deine Babybilder mit einem Vergrößerungsglas, als dass du dir den Schädel rasierst«, sagte Jenny.
Nightingale hielt das Vergrößerungsglas über das Foto und beugte sich darüber. » Da ist nichts«, sagte er.
» Natürlich ist da nichts«, erwiderte Jenny. » Die ganze Vorstellung ist lächerlich.«
Nightingale blätterte weiter und nahm sich die restlichen Fotos vor.
» Jack, jetzt mach mal halblang«, sagte Jenny.
Nightingale öffnete den Mund zu einer Antwort, aber bevor er etwas sagen konnte, wurde die Bürotür von einer wütenden Frau aufgerissen. Er brauchte ein paar Sekunden, um sie einzuordnen und zu begreifen, dass er sie zuletzt mit seiner Videokamera dabei gefilmt hatte, wie sie das Hotel verließ, in dem sie ihren Liebhaber getroffen hatte. Mrs. McBride also. Bevor Nightingale reagieren konnte, stürzte sie sich auf ihn und verpasste ihm eine Ohrfeige. Sein Becher fiel ihm aus den Händen, und heißer Kaffee spritzte über den Boden. » He!«
Er verlor das Gleichgewicht, und bevor er vom Schreibtisch wegkam, schlug sie ihn erneut. » Sie Drecksack«, schrie sie.
Jenny griff nach dem Telefon. » Ich rufe die Polizei«, sagte sie.
Mrs. McBride beachtete sie nicht. » Er hat sich umgebracht, Sie Schwein. Sind Sie jetzt zufrieden?«
» Wer?«, fragte Nightingale.
» Was meinen Sie wohl? Mein Mann. Er hat sich Ihretwegen umgebracht.«
Sie hob die Hand, um ihn wieder zu schlagen, doch dann brach sie in Tränen aus und sackte von Schluchzern geschüttelt auf dem Boden zusammen.
Jenny legte den Hörer weg und ging um den Schreibtisch herum, um sie zu trösten. Anfangs schüttelte Mrs. McBride sie ab, doch dann ließ sie zu, dass Jenny sie zur Couch führte. Jenny reichte ihr ein Papiertaschentuch und setzte sich neben sie. » Was ist passiert?«, fragte sie.
Nightingale hob den Becher auf und warf ein paar Seiten Kopierpapier über den verschütteten Kaffee. Es war nicht das erste Mal, dass er von einem wütenden Ehepartner angegriffen worden war, und er bezweifelte, dass es das letzte Mal sein würde.
» Er hat sich ertränkt«, sagte Mrs. McBride. » Im Kanal. Er hat mir einen Abschiedsbrief hinterlassen.« Sie tupfte sich die Augen trocken. » Er hat geschrieben, dass er mich liebt und nicht ohne mich leben kann.« Sie blickte zu Nightingale auf. » Warum haben Sie das getan?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
» Er war mein Kunde«, antwortete Nightingale. » Ich habe für ihn gearbeitet.«
» Sie Schwein«, sagte sie, aber diesmal lag keine Wut in ihrer Stimme, nur Verzweiflung.
» Sie waren ihm untreu«, sagte Nightingale leise. » Ihr Mann hatte ein Recht, das zu wissen.«
» Mein Mann war unterhalb der Hüfte tot«, erklärte Mrs. McBride. » Fünf Jahre lang haben wir keinen Sex gehabt. Fünf verdammte Jahre. Was hätte ich denn tun sollen? Eine Nonne
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