Hoellennacht
erklären konnte, was ihm Sorgen machte, ohne als kompletter Idiot dazustehen.
» Erzähl es mir, Jack.«
» Als Robbie zum letzten Mal hier war, hat er sich selbst in einer der Kugeln gesehen.«
» Sein Spiegelbild, meinst du?«
Nightingale holte tief Luft. » Das klingt jetzt verrückt, aber er hat gesehen, wie er von einem Taxi überfahren wurde.«
Jennys Gesicht wurde hart. » Das ist nicht komisch, Jack«, sagte sie.
» Es ist kein Scherz, ehrlich«, sagte Nightingale. Er zeigte auf die Glasscherben auf dem Boden. » Robbie war so geschockt, dass er die Kugel hat fallen lassen.«
» Jack, das kann nicht dein Ernst sein. Du behauptest, Robbie hätte seine Zukunft vorausgesehen. Du weißt, dass das unmöglich ist.«
» Ich gebe nur weiter, was er mir gesagt hat, Jenny. Und wenn du seinen Gesichtsausdruck gesehen hättest, wüsstest du, wie ernst es ihm war.«
» Er hat gesehen, wie er selbst von einem Taxi überfahren wurde?«
» Das hat er gesagt.«
» Es ist verrückt.«
» Alles hier ist verrückt«, meinte Nightingale. » Dieser Keller ist verrückt, die DVD , die Gosling mir hinterlassen hat, ist verrückt– und sich in einem magischen Kreis umzubringen scheint mir nicht gerade ein Zeichen von geistiger Gesundheit zu sein.«
Jenny warf sich auf das Ledersofa. » Ist alles in Ordnung mit dir?«
» In welchem Sinne?«
» Du hast gerade erst herausgefunden, dass deine Eltern nicht deine richtigen Eltern waren, dass dein richtiger Vater sich mit einer Schrotflinte umgebracht hat und dass deine leibliche Mutter den größten Teil ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht hat. Dein Onkel und deine Tante sind tot, und du hast gerade deinen besten Freund begraben.«
Nightingale steckte sich eine Zigarette an und setzte sich neben sie.
» Ja, die letzten Tage waren ein bisschen stressig«, sagte er sarkastisch.
» Und wie willst du mit all dem umgehen?«
Nightingale hielt seine Zigarette hoch. » Nikotin und Alkohol, wie üblich«, sagte er.
» Willst du darüber reden?«
» Mit einem Therapeuten?«
Jenny lachte. » Mit mir, du Idiot.«
» Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Nightingale. » Wegen Robbie bin ich am Boden zerstört, aber ich bin erwachsen, ich kann damit umgehen. Die Sache mit meinen leiblichen Eltern verwirrt mich ein bisschen, aber ich bin nicht der erste Mensch, der entdeckt, dass er adoptiert worden ist, und ich komme damit klar.«
» Und deine Mutter?«
» Sie ist nicht meine Mutter, Jenny. Sie ist…«
» Sie ist was?«
Nightingale schüttelte den Kopf. » Ich weiß es nicht«, sagte er. » Ja, sie hat mich zur Welt gebracht, da bin ich mir inzwischen sicher, aber sie bedeutet mir nichts, und so wird es auch bleiben. Irene Nightingale war meine Mutter, und sie ist seit beinahe fünfzehn Jahren tot. Und Bill war mein Vater. Nichts wird das jemals ändern.«
» Und die DVD ? Goslings Botschaft an dich?«
» Das wirre Zeug eines Verrückten kurz vor seinem Selbstmord.«
Sie sah ihn ernst an. » Bist du dir sicher, dass du das so empfindest?«
» Warum fragst du?«
» Weil das, was du durchgemacht hast, traumatisch ist. Und du scheinst es sehr gelassen hinzunehmen.«
» Ich war beinahe zehn Jahre lang Polizist, Jenny. Ich bin nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.« Er blies Rauch zur Decke hinauf. » Glaub mir, ich komme zurecht.«
42
Nachdem Nightingale am Freitagmorgen aufgewacht war, lag er fast eine halbe Stunde im Bett und starrte zur Decke hinauf. Er war einem Impuls gefolgt, als er den Detective Inspector um den Namen des Mannes gebeten hatte, der Robbie Hoyle getötet hatte, aber nachdem er ihn nun wusste, war ihm klar, dass nichts ihn daran hindern würde, mit ihm zu sprechen. Nightingale wollte wissen, ob Hoyle sofort gestorben war oder ob er in einer Blutlache gelegen und um Rettung gefleht hatte. Er wollte wissen, warum O’Brien nicht gebremst hatte oder ausgewichen war, warum er Hoyle einfach niedergemäht hatte. Er wollte wissen, was passiert war, auch wenn dieses Wissen nichts ändern würde. Hoyles Tod war vollkommen sinnlos, aber nach Nightingales Erfahrung war das mit dem Tod meistens so.
Er startete sein Notebook und loggte sich bei Tracesmart ein, einem Online-Service, der Zugang zu Wählerverzeichnissen im ganzen Land bot. Es gab nur einen einzigen Barry O’Brien in Hammersmith. Er notierte sich die Adresse und rief Jenny an, um ihr zu sagen, dass er später kommen würde. » Ich habe in Gosling Manor zu tun«, log er. » Ich komme
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