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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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hergekommen bist?«
    »Nein.« Scarlett schüttelte den Kopf. »Ich war in einer Kirche.«
    »In London?«
    »Ja. Ich bin durch eine Tür gegangen. Dann hat mich einer der Leute von hier festgehalten. Mehr weiß ich nicht.«
    Er nickte langsam. Sein Blick bohrte sich immer noch in sie und Scarlett spürte das dringende Verlangen, wegzuschauen, weil sie fürchtete, er würde sie sonst verschlingen.
    »Du bist in der Ukraine«, sagte der Mann plötzlich.
    »In der Ukraine?« Einen Moment lang schien sich alles zu drehen. »Aber das ist…«
    Es war irgendwo in der Nähe von Russland. Auf der anderen Seite der Erde.
    »Dies ist das Kloster Ruf nach Gnade. Ich bin Pater Gregory.« Er sah Scarlett ein wenig traurig an, als enttäuschte es ihn, dass sie es nicht verstand. »Deine Ankunft hier ist ein Wunder«, sagte er. »Wir warten schon fast zwanzig Jahre auf dich.«
    »Das ist unmöglich. Wie meinen Sie das? Ich lebe doch noch gar keine zwanzig Jahre.« Scarlett hatte das Ganze allmählich satt. Ihr war schlecht… vor Erschöpfung und Verwirrung. »Wieso sprechen Sie Englisch?«, fragte sie. Natürlich wusste sie, dass das eine dumme Frage war, aber sie brauchte jetzt eine einfache Antwort. Sie wollte etwas hören, das einen Sinn ergab.
    »Ich habe die ganze Welt bereist«, antwortete Pater Gregory. »Ich habe sechs Jahre in deinem Land verbracht, in einem Priesterseminar in der Nähe der Stadt Bath.«
    »Wieso haben Sie gesagt, dass Sie schon auf mich gewartet haben? Wie meinen Sie das?«
    Plötzlich ging die Tür auf und einer der Mönche kam mit einem Bronzetablett herein, auf dem zwei Teegläser standen. Scarlett vermutete, dass Pater Gregory den Tee schon bestellt hatte, bevor man sie hereingebracht hatte, denn in diesem Raum gab es keine sichtbaren Kommunikationsmittel, kein Telefon und keinen Computer, nichts Modernes, abgesehen von der Schreibtischlampe, die einen Flecken gelbes Licht spendete. Der Mönch stellte das Tablett ab und ging wieder.
    »Bedien dich«, sagte Pater Gregory.
    Scarlett gehorchte. Die Flüssigkeit war glühend heiß und das Glas verbrannte ihr die Finger. Sie nippte daran. Der Tee schmeckte nach Kräutern und es war so viel Zucker darin, dass ihr die Lippen zusammenklebten. Sie stellte das Glas wieder hin.
    »Ich werde dir meine Geschichte erzählen – nicht dir zuliebe, sondern weil es mir so gefällt«, sagte Pater Gregory. »Weil ich mich manchmal gefragt habe, ob dieser Tag jemals kommen würde. Dass du nun hier sitzt, ist mehr als ein Wunder. Mein ganzes Leben war auf diesen Augenblick ausgerichtet. Vielleicht ist er sogar der einzige Grund, aus dem ich überhaupt lebe.«
    Scarlett unterbrach ihn nicht. Je mehr er redete, desto eifriger wurde er. Das Kohlefeuer spiegelte sich in seinen Augen, aber selbst wenn das Feuer nicht da gewesen wäre, hätten seine Augen vielleicht trotzdem so gefunkelt.
    »Ich wurde vor zweiundsechzig Jahren in Moskau geboren, der Hauptstadt der damaligen Sowjetunion. Mein Vater war Politiker, aber ich wusste schon als Knabe, dass ich der Kirche dienen wollte. Mir gefiel die Welt nicht, in die ich hineingeboren worden war. Die anderen Kinder in meiner Schule waren bösartig und dumm. Ich war klein für mein Alter und wurde oft gequält. Freunde zu finden ist mir nie leichtgefallen. Auch meine Eltern habe ich nicht gemocht. Sie haben mich nicht verstanden. Sie haben es nicht einmal versucht.
    Ich war neunzehn, als ich meinem Vater sagte, dass ich einem Orden beitreten würde. Er war entsetzt. Ich war sein einziger Sohn und er hatte stets angenommen, dass ich in die Politik gehen würde wie er. Er versuchte, es mir auszureden. Er schickte mich auf eine Weltreise in der Hoffnung, dass ich meine Meinung ändern würde, wenn ich erst all die Reichtümer des Westens gesehen hätte.
    Tatsächlich war es genau umgekehrt. Alles, was ich in Europa und Amerika sah, widerte mich an. Reiche Familien mit riesigen Häusern und teuren Autos lebten nur einen Kilometer entfernt von Kindern, die starben, weil sie sich keine Medikamente leisten konnten. Und dann die Kriege, in denen sich Menschen gegenseitig töten und verstümmeln, nur weil die Politiker zu dumm sind, eine andere Lösung zu finden. Der Lärm des modernen Lebens, die Flugzeuge und Autos, der Beton, der das Land erstickt. Die Umweltverschmutzung und der Müll. Menschen, Millionen von ihnen, die zu Arbeitsstellen eilen, die sie hassen – «
    Scarlett zuckte mit den Schultern. »Sie waren also unglücklich«,

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