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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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zwang.
    Sie kamen in einen Saal, der von einem riesigen Kronleuchter erhellt war, allerdings nicht elektrisch, sondern bestückt mit Kerzen, mindestens hundert Stück, deren Wachs heruntertropfte und zu Wucherungen erstarrt war, die Scarlett an Formationen erinnerte, die sie einmal in einer Höhle gesehen hatte. Einige Kerzen tropften auf den runden Tisch. Dort lag eine leere Flasche neben schmutzigen Tellern und Gläsern und schimmligen Brotresten. Hier hatte jemand zu Abend gegessen – aber das war Tage oder Wochen her. Es waren aber trotzdem keine Ratten oder Küchenschaben zu sehen. Dafür war es zu kalt.
    Von dem Saal gingen mehrere Türen ab. Die beiden Mönche führten sie zur nächstgelegenen. Einer öffnete sie, der andere stieß sie hindurch. Er hatte ihr wehgetan und Scarlett fuhr herum und beschimpfte ihn. Der Mönch lächelte nur und trat zurück. Der andere ging mit ihm. Die Tür schloss sich.
    Scarlett drehte sich um und betrachtete ihre neue Umgebung. Dies war das einzige halbwegs gemütliche Zimmer, das sie bisher gesehen hatte. Hier gab es einen Teppich auf dem Boden, zwei Sessel, Bücherregale und einen Schreibtisch. Es war auch wärmer. Im Kamin brannte ein Kohlefeuer, und obwohl die Flammen niedrig waren, spürte sie ihre Wärme und konnte den Brandgeruch riechen. An den Wänden hingen noch mehr religiöse Gemälde. Es gab auch ein Fenster, aber mittlerweile war es zu dunkel, um draußen etwas zu sehen.
    Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann. Auch er trug eine Kutte, aber seine war schwarz. Bisher hatte er nichts gesagt, doch seine Augen fixierten Scarlett, bis sie schließlich unsicher auf ihn zuging. Er war der älteste Mann, den sie bisher hier gesehen hatte – mindestens zwanzig Jahre älter als die anderen, mit dem gleichen kahl geschorenen Kopf und den eingesunkenen Augen. Um seine Ohren wucherten Büschel weißer Haare und er hatte dicke weiße Augenbrauen, die aussahen, als wären sie angeklebt. Seine Nase war lang und zu dünn für sein Gesicht. Das Gleiche galt für seine Finger, die er auf der Schreibtischplatte ausgebreitet hatte. Er wandte den Blick nicht von Scarlett ab, und als sie näher kam, sah sie, dass er eine Wucherung in einem Auge hatte. Die ganze Augenhöhle war rot und nässte. Es war fast, als würde er genauso verrotten wie das Gebäude. Scarlett schauderte. Von dem Anblick wurde ihr übel.
    Der Mann hatte immer noch kein Wort gesagt. Scarlett baute sich vor seinem Schreibtisch auf. Sie hatte beschlossen, sich trotz allem nicht von ihm einschüchtern zu lassen. »Wer sind Sie?«, fragte sie in herausforderndem Tonfall. »Wo bin ich? Warum haben Sie mich hergebracht?«
    Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Zumindest eines. Das erkrankte Auge hatte seine Beweglichkeit wohl schon vor langer Zeit verloren. »Du bist Engländerin?«
    Scarlett war erstaunt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihre Sprache sprechen würde. »Ja«, sagte sie.
     
    »Bitte setz dich…« Er deutete auf einen der Sessel. »Möchtest du etwas Warmes trinken? Es gibt sicher bald Tee.«
    Scarlett schüttelte den Kopf. »Ich will keinen Tee!«, fauchte sie ihn an. »Ich will dahin zurück, wo ich hergekommen bin. Warum halten Sie mich hier fest?«
    »Ich habe dich gebeten, dich zu setzen«, sagte der Mönch. »Und ich würde dir raten, zu tun, was man dir sagt.«
    Er erhob nicht die Stimme. Er klang nicht einmal bedrohlich. Aber irgendwie wusste Scarlett, dass es ein Fehler wäre, ihm nicht zu gehorchen. Sie konnte es in seinen Augen sehen. Die Pupillen waren schwarz und tot und es schien ihm schwerzufallen, sie auf einen bestimmten Punkt zu richten. Es waren die Augen eines Wahnsinnigen.
    Sie setzte sich hin.
    »Schon besser«, sagte er. »Und jetzt sollten wir uns einander vorstellen. Wie ist dein Name?«
    »Ich heiße Scarlett Adams.«
    »Scarlett Adams.« Er wiederholte es so zufrieden, als wäre es genau das, was er hatte hören wollen. »Von wo kommst du?«
    »Ich lebe in Dulwich. In London. Bitte… Sagen Sie mir, wo ich bin?«
    Er hob einen Finger. Der Fingernagel war gelb und verformt. »Ich werde dir alles sagen, was du wissen willst«, sagte er. Sein Englisch war perfekt, obwohl man merkte, dass es nicht seine Muttersprache war. Er hatte einen Akzent, den Scarlett nicht einordnen konnte, und reihte die Worte so sorgfältig aneinander wie ein Juwelier, der Perlen auf eine Schnur zieht. »Aber erst verrate mir etwas«, fuhr er fort. »Du weißt wirklich nicht, wie du

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