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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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hatte es mit voller Absicht gefaltet. Sie hatte Mrs Cheng nur die Hälfte des Textes gezeigt.
    Denn unter dem gedruckten Wahrsagetext stand handschriftlich:
     
    Scarlett. Du bist in großer Gefahr. Lass die Frau dies nicht lesen. Komm morgen Nachmittag auf den Peak. Folge dem Wanderweg, der von der Lugard Road abzweigt. Wir werden warten.
    Wir sind deine Freunde. Vertrau uns, wenn du Hongkong lebend verlassen willst.

AUF DEM PEAK
    Schon in dem Moment, in dem sie die Augen aufschlug, wusste Scarlett, dass etwas nicht stimmte.
    Ein Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass es acht Uhr morgens war, aber aus irgendeinem Grund schien die Sonne nicht in ihr Zimmer. Es war nicht nur bewölkt und neblig wie sonst, sondern richtig dunkel. Wie war das möglich? Sie drehte sich um und sah zum Fenster. Im ersten Moment dachte sie, jemand hätte einen schwarzen Vorhang aufgehängt, aber dann erkannte sie, dass er nicht innen hing, sondern außen. Wie konnte jemand im zwölften Stock etwas vors Fenster hängen? Noch halb verschlafen stützte sie sich auf einen Ellbogen und versuchte, es zu begreifen.
    Und dann bewegte sich der Vorhang. Es sah aus, als würde er Falten werfen. Gleichzeitig hörte sie das Schlagen winziger Flügel und begriff, was sie da sah. Es war ein Insektenschwarm. Unmengen schwarzer Fliegen saßen auf der Scheibe wie ein einziges Lebewesen.
    Scarlett lag reglos im Bett und starrte die Fliegen voller Abscheu an. So viele hatte sie noch nie auf einmal gesehen, nicht einmal in der größten Sommerhitze. Und dies war ein kalter Tag im November! Was hatte die Viecher hergelockt? Wie hatten sie es geschafft, durch die ganze Stadt zu fliegen und auf einer einzigen Glasscheibe zu landen? Sie konnte ihr Summen und das zarte Klopfen hören, als sie sich gegen die Scheibe warfen, und sie sah auch ihre Beine, Tausende von ihnen, mit denen sie sich am Glas festhielten. Schnelle Flügelschläge verhinderten, dass sie abrutschten. Scarlett war ganz schlecht vor Ekel. Plötzlich bekam sie Angst, dass die Insekten einen Weg nach drinnen finden könnten. Sie stellte sich vor, wie sie um ihren Kopf herumschwirrten und ihr in Nase und Mund krochen. Ein Impuls ließ sie ihr Kopfkissen packen und gegen das Fenster schleudern. Es funktionierte. Wie ein einziges Wesen lösten sich die Fliegen vom Glas. Einen Moment lang sahen sie aus wie ein langer Seidenschal, der im Wind flattert. Dann waren sie weg.
    Scarlett blieb bestimmt noch zwanzig Minuten, wo sie war, zu geschockt, um sich aus dem Bett zu wagen. Sie hatte Insekten noch nie leiden können, aber dies war etwas anderes gewesen. Was sie gerade gesehen hatte, war vollkommen unmöglich, das war ihr klar – genauso wie die Tür in der Kirche. Und das verriet ihr, was sie schon längst hätte erkennen müssen.
    Sie hatte erwartet, durch ihre plötzliche Abreise nach Hongkong wenigstens vor den Ereignissen in London fliehen zu können: dem Kloster; dem Gefühl, verfolgt zu werden; dem Restaurant, das in die Luft geflogen war. Aber natürlich stimmte das nicht. Es ging weiter. Alles, was ihr in London passiert war, war ihr hierher gefolgt. Sie steckte immer noch in derselben Falle. Hier war es sogar noch schlimmer. Sie war weit entfernt von ihren Freunden und ihrer Familie, ganz allein in einer in jeder Hinsicht feindlichen Stadt.
    Das alles passierte, weil sie ein Torhüter war. Sie musste wieder an Pater Gregorys Worte denken. Er hatte von einer bösen Macht gesprochen, den Alten. Scarlett wusste nicht genau, wer sie waren, aber sie rechnete mit dem Schlimmsten. Sie waren hier, in Hongkong. Das erklärte alles. Die Alten spielten mit ihr. Sie waren es, die die Menschenmengen kontrollierten.
    Was sollte sie jetzt tun?
    Sie konnte in die Küche marschieren und Mrs Cheng sagen, dass sie nicht mehr auf ihren Vater warten, sondern mit der ersten Maschine nach London zurückfliegen wollte. Sie konnte ihre Mutter in Australien oder ihre Schulleiterin in London anrufen. Die würden sie hier herausholen. Sie konnte sich an die Polizei wenden.
    Allerdings war ihr klar, dass nichts davon passieren würde. Die Mächte, mit denen sie zu tun hatte, hatten viel zu viel Einfluss. Das merkte sie jedes Mal, wenn sie nach draußen ging. Hongkong war krank. Es war eine Art Krebs, der sich durch jede Straße fraß und jeden infizierte, der dort vorbeikam. Bildete sie sich wirklich ein, dass man sie einfach gehen lassen würde? Bis jetzt war sie nicht direkt bedroht worden. Das war offenbar kein Teil

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