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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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ihres Plans. Aber wenn sie sie reizte und ihnen zu entkommen versuchte, würde sie damit ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihre Situation vermutlich nur verschlimmern.
    Ihr blieb nur eine Hoffnung. Die Leute, die Kontakt zu ihr aufgenommen hatten… Sie mussten auf ihrer Seite sein. Wir sind deine Freunde. Das hatten sie geschrieben. Scarlett musste sich nur ganz normal benehmen, bis sie sie traf. Und wenn sie erst wusste, was wirklich Sache war, konnte sie auch entsprechend reagieren.
    Sie stand auf und zog sich an. Die Nachricht der Wahrsagerin lag noch neben dem Bett, aber jetzt versteckte sie sie unter der Matratze. Wer immer ihre Freunde waren, sie waren sehr vorsichtig. Sie hatten in vier verschiedenen Schritten Kontakt zu ihr aufgenommen: der in ihren Koffer geschmuggelte Reiseführer, die Leuchtschrift auf der anderen Seite des Hafens, der Glücksvogel in Tin Hau und schließlich das Treffen am Nachmittag. Die Frage war nur, wie sie Mrs Cheng dazu bringen sollte, noch einmal mit ihr auf den Peak zu fahren?
    Sie waren schon dort gewesen. Victoria Peak war der Name des Berges, der hinter Hongkong aufragte und zum Pflichtprogramm jedes Touristen gehörte. Scarlett war am zweiten Tag dort gewesen und mit der alten Holzstraßenbahn – die eigentlich eine Seilbahn war – die fünfhundert Meter bis zum Gipfel gefahren. Eigentlich hätte die Aussicht atemberaubend sein sollen, aber durch die starke Luftverschmutzung hatten sie kaum etwas sehen können. Vielleicht war das die Lösung. Wenn sich das Wetter besserte, hatte sie eine gute Begründung für einen zweiten Besuch.
    Mrs Cheng war in der Küche und briet ein Omelett für Scarlett.
    »Guten Morgen, Scarlett.«
    »Guten Morgen, Mrs Cheng.«
    »Hast du gut geschlafen?«
    »Sehr gut, vielen Dank.«
    Als Scarlett sich hinsetzte, fiel ihr auf, dass sie die Frau noch nie hatte essen sehen, nicht einmal ein einziges Häppchen. Sogar wenn sie zusammen in ein Restaurant gingen, bestellte Mrs Cheng nur Essen für Scarlett. Tatsächlich hatte sie bisher erst ein einziges Mal so etwas wie Appetit gezeigt. Das war auf dem Markt gewesen, auf dem sie den ekelhaften durchgeschnittenen und trotzdem noch lebenden Fisch gesehen hatten.
    »Wohin möchtest du heute, Scarlett?« Das waren genau die gleichen Worte, die sie auch am Tag zuvor gebraucht hatte. Und sie sprach sie ohne jedes echte Interesse, als wäre ihr diese Frage einprogrammiert worden.
    »Ich würde gern noch einmal auf den Peak«, sagte Scarlett. »Beim letzten Mal haben wir ja nicht viel gesehen. Vielleicht ist die Aussicht heute besser.«
    Mrs Cheng sah aus dem Fenster. »Es ist sehr bewölkt«, stellte sie fest.
    »Aber bis heute Nachmittag klart es sicher auf«, sagte Scarlett. »Ich habe den Wetterbericht im Fernsehen gesehen.« Draußen war alles grau und ein feiner Nieselregen erfüllte die Luft. Der Wetterbericht hatte angekündigt, dass es für den Rest der Woche so bleiben würde. Doch irgendwie wusste Scarlett, dass sie recht behalten würde.
    »Das glaube ich nicht.« Mrs Cheng schüttelte den Kopf. »Willst du nicht lieber ins Kino gehen?«
     
    »Warten wir doch ab, wie es heute Nachmittag aussieht«, schlug Scarlett vor. »Ich bin sicher, dass es schön wird.«
    Und das wurde es, allen Voraussagen zum Trotz. Gegen zwei Uhr nachmittags verzogen sich die Wolken und die Sonne kam heraus. Sie hatte zwar gegen die allgegenwärtige Luftverschmutzung zu kämpfen, aber es war definitiv Sonnenschein. Sogar Mrs Cheng musste zugeben, dass es ein zu schöner Nachmittag war, um drinnen zu bleiben, und so machten sie sich auf den Weg.
    Der Mann am Empfang saß auf seinem gewohnten Platz. Er trug denselben dunklen Anzug und dasselbe weiße Hemd wie immer, bewegte sich nicht und beobachtete sie ohne jede Gefühlsregung. Im Vorbeigehen fiel Scarlett auf, dass der Mann einen Leberfleck im Gesicht hatte. Zumindest dachte sie das, bis sich der Fleck bewegte. Er kroch über seine Wange und da erkannte sie, dass es eine Fliege war, eines von den fetten schwarzen Viechern, die am Morgen an ihrer Fensterscheibe gesessen hatten. Der Mann rührte sich nicht. Er schlug nicht nach der Fliege. Er schien sie nicht einmal wahrzunehmen und verzog auch keine Miene, als das Insekt seinen Augenwinkel erreichte und dort zu fressen begann.
    Scarlett konnte das Gebäude nicht schnell genug verlassen. Von Wisdom Court bis zur Straßenbahnhaltestelle waren es nur wenige Minuten. Sie hätten zu Fuß gehen können, aber wie

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