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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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sich ein Schmunzeln verkneifen. Ganz offensichtlich hatte ihre Aufpasserin nicht die geringste Freude an diesem Ausflug. Sie warf nicht einmal einen Blick auf die spektakuläre Aussicht.
    Eine Frau mit einem altmodischen Kinderwagen kam den Weg entlang, gefolgt von einem Jogger. Er trug einen blauen Trainingsanzug und eine dieser weißen Atemschutzmasken, die nur die Augen frei ließen. Scarletts Anspannung wuchs, als sich die beiden näherten. Sie wartete darauf, dass jemand Kontakt aufnahm. Aber die beiden nahmen sie überhaupt nicht wahr und setzten ihren Weg fort.
    Sie gingen weiter den Wanderweg um den Gipfel entlang.
    »Wir sollten zurückgehen, Scarlett«, sagte Mrs Cheng nach ein paar Minuten.
    »Aber es ist doch ein Rundweg«, protestierte Scarlett. »Wenn wir weitergehen, landen wir genau da, wo wir gestartet sind.«
    Drei weitere Wanderer tauchten vor ihnen auf: zwei Männer und eine Frau, alle Chinesen. Sie waren fast identisch gekleidet in Jeans, Sweatjacken und Wanderschuhe. Einer der Männer hatte einen Gehstock dabei, obwohl er jung und fit aussah und ihn bestimmt nicht brauchte. Der andere Mann hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Er war um die dreißig, trug eine Brille und hatte ein pockennarbiges Gesicht. Die Frau war schlank und sportlich, hatte ihr langes Haar mit einem pinkfarbenen Band zusammengebunden und hörte Musik aus einem iPod. Als die drei auf sie zukamen, zeigten sie nicht das geringste Interesse an Scarlett.
    Jetzt waren sie auf ihrer Höhe.
    »Scarlett…«, begann Mrs Cheng.
    Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Der Mann mit dem Rucksack griff hinter sich und zog etwas Flaches, Silbernes heraus. Es machte den Eindruck, als hätte er diese Bewegung immer wieder trainiert. Für Scarlett sah es so aus, als hätte er plötzlich ein übergroßes Küchenmesser gezogen. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, was es war. Eine Machete. Die Klinge war etwa einen halben Meter lang und rasiermesserscharf. Zur selben Zeit drehte der andere Mann den Griff seines Gehstocks. Scarlett hörte es zischen, als er den im Stock verborgenen Degen zog. Nur die Frau war unbewaffnet. Sie sah sich um, ob die Luft rein war.
    Beide Männer rammten ihre Waffen in Audrey Cheng. Die Chinesin kreischte, aber der Laut hatte nichts Menschliches an sich. Es war ein schrilles Heulen, das in den Ohren wehtat. Scarlett starrte sie geschockt an. Ihr Gesicht war nicht wiederzuerkennen, der Mund zu einer grauenvollen Grimasse verzerrt. Ein Schwall Blut quoll über ihre Unterlippe. Ihre Augen waren verschleiert. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich zu verteidigen oder irgendwie zu reagieren. Scarlett sah, wie ihr Hals aufklappte, als wären Scharniere daran, und sie wendete den Blick ab. Sie hörte den Aufprall, als Mrs Chengs abgeschlagener Kopf auf den Boden prallte. Es war ein Geräusch, das sie nie wieder vergessen würde.
    Die junge Frau kam angerannt und legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern. Etwas von Mrs Chengs Blut war auf sie gespritzt. Die ganze Luft war rot verschwommen.
    »Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest, Scarlett«, sagte sie in perfektem Englisch. »Schau nicht mehr hin. Wir mussten das tun. Es gab keine andere Möglichkeit.«
    »Sie haben sie umgebracht!« Scarlett stand unter Schock. Sie hatte Mrs Cheng zwar nicht gemocht, aber trotzdem konnte sie nicht glauben, was sie gerade gesehen hatte. Diese Leute hatten ihr nicht einmal die Chance gegeben, sich zu verteidigen. Sie hatten sie kaltblütig ermordet.
    »Nicht sie. Es.«
    Scarlett sah sie verständnislos an. »Was meinen Sie damit?«
    »Zeig es ihr!«, knurrte einer der Männer.
    »Wir sind deine Freunde«, versicherte die Frau. »Wir haben dir die Nachricht über die Wahrsagerin geschickt. Wir sind gekommen, um dir zu helfen, und glaub mir, es gab keinen anderen Weg.« Sie legte Scarlett beide Hände auf die Schultern. »Dreh dich um und sieh selbst«, fuhr sie fort. »Die Frau ist nicht das, wofür du sie hältst. Sie ist ein Gestaltwechsler. Wir zeigen es dir, aber dann musst du mit uns kommen. Die werden schon wissen, was passiert ist. Die werden sie gehört haben. Wir haben nicht mehr viel Zeit…«
    Scarlett drehte sich um. Der Mann ließ gerade wieder den Degen im Stock verschwinden. Der andere wischte seine Machete an einem Stück Stoff ab. Scarlett schluckte. Sie wollte das nicht sehen. Da war eine Menge Blut auf dem Weg.
    Mrs Cheng lag auf dem Rücken, die Beine in den schwarzen Strümpfen lang ausgestreckt.

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