Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
die
Leichen zweier Männer gefunden. Im Allgemeinen gut informierte Kreise berichten,
dass es sich dabei um ein Verbrechen im Rotlichtmilieu handelt, was jedoch offiziell
noch nicht bestätigt wurde. Aus Kassel Michael Przibylla:
Die getöteten
Männer, 29 und 34 Jahre alt, sind vor ihrem Tod offenbar gefoltert und verstümmelt
worden. Der jüngere der beiden soll als Callboy gearbeitet haben, über den anderen
ist bisher nur bekannt, dass er ebenfalls Kontakte zum Rotlichtmilieu gehabt haben
soll. Bei der Tat handelt es sich um das zweite schwere Verbrechen innerhalb kürzester
Zeit in der Fuldastadt, wurde doch vor nicht einmal 48 Stunden ein Anschlag auf
den Oberbürgermeister verübt, bei dem dessen Lebensgefährtin getötet und er schwer
verletzt wurde. Wie jedoch aus Kreisen der Polizei zu erfahren war, stehen die Taten
in keinem direkten Zusammenhang. Allerdings werfen die Verbrechen ein schlechtes
Licht auf jene Stadt, in der vor nicht einmal einer Woche die 13. Ausgabe
der Documenta eröffnet wurde und die in diesem Jahr mehrere 100.000 kunstbegeisterte
Besucher erwartet. Aus Kassel Michael Przibylla.
Wesseling
schluckte, schaltete das Radio aus und schnaufte durch.
Zwei Tote.
Einer 29 Jahre alt und ein Stricher, der andere 34 und mit Kontakten zum Milieu.
Olli ist vor drei Wochen 34 geworden.
Nein, das
war unmöglich. Er kannte seinen Mann fürs Grobe seit mehr als vier Jahren, und über
eine so lange Zeit konnte kein Mensch vor ihm verheimlichen, dass er schwul war.
Vielleicht
ein dummer Zufall, und Olli war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Je mehr
Wesseling über die Sache nachdachte, desto sicherer wurde er, dass es sich bei dem
zweiten Toten um Oliver Heppner handelte. Und mit der sich steigernden Sicherheit
kam die Wut. Dass Olli vermutlich tot war, machte dem Zuhälter nicht wirklich etwas
aus. Dass er, wenn es tatsächlich so war, wie er dachte, über Jahre von ihm belogen
und betrogen worden war, regte ihn hingegen über alle Maßen auf.
Du verdammte
schwule Sau. Und mit einem wie dir habe ich mir die Nächte um die Ohren gehauen.
Je größer
seine Erregung wurde, und das ging bei Maik Wesseling immer schnell, desto mehr
trat er aufs Gaspedal. Wenn er noch bis vor ein paar Minuten nicht einmal gewusst
hatte, wo in Kassel er unterkommen würde, so war ihm das nun vollends gleichgültig.
Es war ihm egal, weil die gesamte Szene vermutlich schon wusste, mit welcher Art
Laus im Pelz er da gelebt und gearbeitet hatte.
»Scheiße!«,
brüllte er und schlug dabei so fest auf das Lenkrad ein, dass ihn sofort die Hand
schmerzte.
Nur einen
Augenblick lang schoss es ihm durch den Kopf, dass er sich täuschen konnte, doch
diesen Gedanken wischte er sofort weg.
Nein, ich
täusche mich nicht. Jetzt nicht mehr.
Mit mehr
als 195 Stundenkilometer, also allem, was aus dem betagten Motor herauszuholen war,
raste er über die A44 auf Kassel zu. Rechts tauchten das große Volkswagenwerk und
dahinter Baunatal auf, und etwa zwei Kilometer weiter der Hinweis auf die Ausfahrt
Kassel-Wilhelmshöhe.
Wesseling,
der in den Jahren zuvor ausschließlich große, sportliche Autos gefahren war und
dessen Rage sich auf den etwa 35 Kilometern seit Warburg bis kurz über den Siedepunkt
gesteigert hatte, wählte den letzten für ihn denkbaren Bremspunkt, wechselte ohne
zu blinken auf die Abbiegespur und wusste schon im gleichen Augenblick, dass es
knapp werden würde. Dieser Golf, den er unter dem Hintern hatte, diese ausgelutschte
Karre mit der internen Typenbezeichnung 19E war einfach nicht mehr in der Lage,
jene langgezogene Rechtskurve, in die der Zuhälter ihn nun mit hektischen Lenkbewegungen
zwang, mit deutlich mehr als 150 km/h zu durcheilen. Zumindest nicht auf den eigenen
Rädern. Und so wurden die von Wesseling ausgelösten Ausschläge des Lenkrades immer
größer, und mit jedem Hin und Her wurde die Lage von Auto und Fahrer dramatischer.
Der erste Einschlag traf den bedauernswerten Kompaktwagen vorn rechts, was ihn in
eine schnelle Kreiselbewegung versetzte. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch Wesseling
so langsam klar, dass sein persönliches Glücksportfolio für diesen Morgen aufgebraucht
war, weshalb er die Hände vom Lenkrad wegriss und die Arme vor der Brust verschränkte,
genau so, wie er es einmal während eines Sportfahrerlehrgangs erklärt bekommen hatte.
Das wird den Aufprall erträglich machen, hatte der Instruktor ihm damals erklärt.
Allerdings liegen Theorie und Praxis im
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