Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
wirklichen Leben sehr oft weit auseinander,
was in diesem Fall dazu führte, dass Wesseling wie eine Marionette hin und her geschleudert
wurde und mit ihm auch seine Arme und sein Kopf. Der Golf vollführte derweil zwischen
den Leitplanken einen derart formvollendeten Tanz, dass der Sachverständige, der
später den Unfall aufnahm, jede einzelne Bewegung und jede Rotation haargenau nachvollziehen
konnte.
Irgendwann
in diesen Sekunden begann Wesseling, einen panischen Schrei auszustoßen, so etwas
wie ein sehr langgezogenes AAAHHH. Untermalt von dieser akustischen Begleitung,
hakte der Wolfsburger sich gegen Ende seiner finalen Reise an einer Leitplankenbefestigung
ein, stieg über die Querachse auf, schlug in einem direkt hinter der Leitplanke
stehenden massiven Laubbaum ein und blieb als qualmender Totalschaden zwischen den
Ästen hängen. Sein Fahrer hatte vom allerletzten Rest der Exkursion nichts mehr
mitbekommen, weil das Dach mit Wucht auf seinen Schädel gekracht war und ihm einen
schmerzfreien, jedoch totalen Stromausfall im Hirn beschert hatte.
20
Maria war immer noch völlig aufgebracht,
und so sehr der Kommissar sich innerhalb der letzten Stunde auch bemüht hatte, es
war ihm nicht gelungen, seine Frau zu beruhigen.
»Dieses
verdammte Arschloch!«, polterte sie erneut los. »Hetzt mir diesen Schläger auf den
Hals. Das fasse ich nicht.«
Sie riss
so vehement am Schalthebel ihres Wagens, dass es ein hässliches Geräusch von irgendwo
aus dem Motorraum gab.
»Ich verstehe,
dass du total sauer bist, Maria«, meinte Lenz beruhigend, »aber irgendwann muss
es doch auch mal gut sein mit der Aufregung. Wenn er wieder auf die Beine kommen
sollte, kannst du ihn wegen der Sache anzeigen, wobei ich aber glaube, dass er,
sollte es wirklich so weit kommen, seine Aussage von heute Morgen wieder vergessen
haben dürfte. Und es gibt nun mal, wie es sich jetzt darstellt, keine Zeugen für
diese Sauerei.«
»Aber …«, wollte
Maria widersprechen, doch der Polizist unterbrach sie, indem er zärtlich nach ihrer
Hand griff.
»Lass es
gut sein, zumindest für jetzt. Wenn er überleben sollte, können wir vielleicht noch
einmal darüber reden, aber bis dahin solltest du nicht unnötig Kraft in die Sache
investieren.«
»Du hast
vermutlich recht«, stimmte sie nach einer kurzen Bedenkzeit zu. »Aber dass es mich
auf- und erregt, es zu erfahren, verstehst du bestimmt.«
»Klar, ohne
Frage.«
Wieder dachte
sie eine Weile nach.
»Wir hatten
ihn immer im Verdacht, dass er etwas mit der Sache zu tun haben könnte, was auch
gestimmt hat, wie wir jetzt wissen. Aber die endgültige Gewissheit, dass er dahinter
steckt, ist halt noch was anderes.«
Über ihr
Gesicht huschte der Anflug eines gequälten Lächelns.
»Vielleicht
hilft es mir am Ende, die Geschichte wirklich aus dem Kopf zu kriegen, was meinst
du?«
»Gut möglich.«
»Und bis
es so weit ist, versuche ich einfach, nicht mehr dran zu denken.«
Sie rollte
langsam vor einer roten Ampel aus.
»Was hältst
du davon, bei Enzo einen Kaffee zu trinken?«
»Ich bin
dabei.«
»Und wenn
ich wieder anfangen sollte rumzunörgeln, haust du mir, bildlich gesprochen natürlich
nur, auf die Finger, ja?«
»In jedem
Fall. Nur …«
Weiter kam
Lenz nicht, weil er vom Klingelton seines Telefons unterbrochen wurde.
Er nahm
das Gespräch an, meldete sich und lauschte.
»Ich bin’s,
Thilo. Wo steckst du denn? Immer, wenn ich dich mal wirklich brauche, bist du so
gut wie unauffindbar für mich.«
In der Stimme
seines Kollegen schwang jede Menge Vorwurf mit.
»Ich komme
gerade aus dem Klinikum und bin auf dem Weg zur Markthalle, wo ich mit meiner Frau
einen Kaffee trinken will. Warum fragst du?«
»Gut, dann
komme ich dahin. Bis gleich.«
Es gab ein
Knacksen in der Leitung, danach eine kurze Phase der Stille, die wiederum von einem
regelmäßigen, enervierenden Piepton abgelöst wurde.
»Wer war
das?«, wollte Maria wissen.
»Das war
Thilo«, erwiderte der Kommissar, während er langsam das kleine Gerät vom Ohr nahm
und auf den roten Knopf drückte.
»Er will
auch in die Markthalle kommen. Ist das für dich in Ordnung?«
»Ist irgendwas
passiert? Du wirkst ziemlich verstört auf mich.«
Lenz ließ
das Telefon in der Innentasche seines Sakkos verschwinden, bevor er antwortete.
»Das weiß
ich nicht, aber er klang schon ziemlich merkwürdig.«
»Hoffentlich
nichts mit den Kindern oder Carla«, sprach Maria einen Gedanken aus, der auch Lenz
schon durch den Kopf
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