Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
Westen. Wohin er genau wollte und was sein Reiseziel werden
könnte, davon hatte er keine Ahnung. Eigentlich wäre Hamburg die naheliegendste
Entscheidung gewesen, weil er dort ein paar gute Freunde hatte. Allerdings gab es
dort auch ein paar Kerle, denen er besser nicht begegnen wollte, also fiel die Metropole
an der Elbe leider aus. Auch in Leipzig, seiner Heimatstadt, gab es ein paar Adressen,
bei denen er einige Tage Unterschlupf finden würde, doch es war ihm klar, dass diese
Option auch für die Bullen ganz oben auf der Liste stand. Über Dortmund und Duisburg,
wo er in einer Dönerbude etwas gegessen hatte, war er nach Venlo gekommen, der ersten
größeren Stadt hinter der holländischen Grenze.
Amsterdam!, war es ihm durch den Kopf geschossen. Wenn es irgendwo in Europa möglich
war, für eine Weile unterzutauchen, dann doch wohl in Amsterdam. Schon die gesamte
Fahrt über hatte der Zuhälter hin und her gerechnet, hatte seine diversen Bargelddepots
überschlagen und war zu dem traurigen Schluss gekommen, dass er es finanziell nicht
länger als höchstens ein halbes Jahr auf der Flucht aushalten könnte. Wenn überhaupt.
Genaugenommen würde auch das nur funktionieren, wenn er an seine in Kassel liegende
Reserve käme, denn bei seiner überstürzten Abreise hatte er an vieles gedacht, nicht
aber an Geld.
Und weil
er gerade dabei gewesen war, hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben gefragt,
wo die viele Kohle eigentlich gelandet sein könnte, die er, oder vielmehr die Frauen,
die für ihn anschaffen gingen, verdient hatten. Die Antwort war ebenso simpel wie
unbefriedigend für ihn ausgefallen, denn er hatte das Geld für Autos, Stereoanlagenbauteile,
Uhren und sonstigen Luxuskram aus dem Fenster geworfen. Richtig deprimierend aber
war die Erkenntnis, dass von den Werten, die er damit eigentlich hätte schaffen
können, so gut wie nichts mehr da war.
Autos? Kaputt
gefahren oder viel zu billig verhökert, nachdem er sich an ihnen sattgesehen hatte.
Stereoanlage?
In einem Wutanfall mit dem Fleischklopfer zertrümmert.
Und die
Uhren? Die hatten während diverser Pokerpartien in den Hinterzimmern heruntergekommener
Kaschemmen den Besitzer gewechselt.
Nun also
nach Amsterdam.
Zunächst
jedoch würde er ein paar Stunden schlafen müssen, weil er kaum noch die Augen offen
halten konnte.
Irgendein
Bett wird sich in diesem Kaff doch hoffentlich finden lassen.
Sein Blick
fiel auf die grünlich schimmernde Digitaluhr im Armaturenbrett des Golfs. Viertel
nach vier. In der Richtung, aus der er gekommen war, färbte sich der Himmel langsam
dunkelblau. Wesseling fuhr langsam durch die schlafende Stadt, bis er ein Hinweisschild
mit einer stilisierten Eisenbahn und dem Aufdruck ›Station‹ darauf sah. Keine Minute
später drehte er eine Runde in einem großen, im Zentrum begrünten Kreisverkehr und
stoppte den Kompaktwagen kurz darauf direkt vor dem Bahnhofsgebäude. Sein Mund schmeckte
seifig, seine Hände fühlten sich schmierig an und die Blase drückte gewaltig. Also
verließ er den Wagen, schloss die Tür hinter sich ab, betrat die Halle und sah sich
nach einer Toilette um. Als alles zu seiner Zufriedenheit erledigt war und er sich
sogar ein wenig das Gesicht hatte waschen können, fühlte die Welt sich gleich ein
paar Umdrehungen besser an. Mit langsamen Schritten sah er sich in der menschenleeren
Bahnhofshalle um, warf einen Blick auf die Gleise und schlenderte dann langsam auf
eine Anzeigetafel zu, die Informationen über Hotels versprach.
Puur hieß
eines, das ihm sofort wegen des komischen Namens ins Auge stach und das angeblich
nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt lag.
Klasse!
Schlafen, duschen, weitersehen.
Betont entspannt
ging er auf den Ausgang zu, doch als er an der großen Glasfront angekommen war und
der Golf in sein Blickfeld rückte, setzte sein Herzschlag ein paar Schläge aus.
Vor dem Wolfsburger Verkaufsschlager stand ein Polizist, und auch dahinter erkannte
Wesseling einen der blau gekleideten Ordnungshüter.
Scheiße,
was soll denn die Nummer jetzt? Die können doch unmöglich wissen, dass ich mit dieser
Karre unterwegs bin. Oder sollte Olli wirklich einen Deal mit den Bullen gemacht
haben? Ich rette meinen Arsch und hänge dafür den von Maik in die Auslage? Den Arsch
von Maik, meinem Boss.
Die Polizisten
trafen sich nun auf der Fahrerseite und stierten neugierig ins Innere des Autos.
Verdammt!
Was mache ich nur?
Wesseling
gehörte sicher nicht zu den cleversten Menschen
Weitere Kostenlose Bücher