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Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Titel: Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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gefördert durch die rasante Ausbreitung des Internets, waren diese
Tugenden zu seinem Leidwesen immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden. Und
nun befand sich die Menschheit an einem Wendepunkt, von dem es keine andere Rettung
mehr gab als den Herrn und den Glauben an ihn.
    Wo soll
es auch enden, wenn sich die Menschen herausnehmen, über ihr Schicksal selbst entscheiden
zu wollen? Wenn sie die Regentschaft Gottes ablehnen und seine Existenz leugnen.
Wenn sie spotten über die guten Taten, die er jeden Tag tut, die guten Gedanken,
die er den Menschen, die ihm vertrauen, gibt. Nein, es braucht diese Katharsis,
vor der wir alle stehen. Wir alle brauchen diesen Neubeginn.
    Er setzte
sich wieder in Bewegung und hatte kurz darauf die lasterhafte Stätte hinter sich
gelassen. Mit schnellen, kräftigen Schritten bewegte er sich die Treppenstraße hinab,
ging nach rechts und sah auf der über seinem Kopf thronenden Anzeigetafel, dass
seine Straßenbahn in zwei Minuten abfahren würde. Auf der andern Seite der breiten
Fußgängerzone, durch die sich schon um diese frühe Stunde Tausende Menschen drängten,
erkannte Weidler einen Pulk von jungen Männern und Frauen, deren bloßes Erscheinungsbild
ihn aggressiv machte. Die meisten von ihnen trugen rot oder grün gefärbte Haare,
viele Ohrringe, Springerstiefel und ausgeblichene Jeans mit Löchern. Mancher hielt
eine selbstgedrehte Zigarette in der Hand, und um sie herum tollte eine Horde Hunde.
    Sie säen
nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und unser himmlischer
Vater nährt sie doch.
    Der ehemalige
Pädagoge stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der Passanten hinweg
mehr von der bunten Truppe erkennen zu können.
    Wenn ich
eines Tages dem Schöpfer gegenübersitzen sollte, wird es eine meiner drängendsten
Fragen an ihn sein, warum er es diesen Leuten ermöglicht, ihr Leben in dieser Art
zu verschleudern.
    Volker Weidler
hob den Kopf ein weiteres Stück an und fokussierte seinen Blick auf eine etwa 22-jährige
Frau mit grünen Haaren, die wild gestikulierend einer anderen aus der Gruppe offenbar
etwas klarzumachen versuchte. In ihrem Gesicht lag etwas Verschmitztes, Gefälliges.
    Sie ist
nicht hässlich oder so etwas. Warum treibt sich eine solche Frau mit diesem Gesindel
herum?
    Bevor er
über eine Antwort auf seine selbst gestellte Frage nachdenken konnte, wurde seine
Sicht auf die Szene durch die einfahrende Straßenbahn unterbrochen. Für einen kurzen
Moment überlegte er, auf die nächste Bahn zu warten, entschied sich jedoch dagegen
und stieg ein. Nach einer Fahrt von etwa 15 Minuten verließ er die Bahn, sah sich
etwas unsicher um und schlenderte dann in Richtung einer kleinen Kreuzung. Als er
das Haus, zu dem er wollte, erreicht hatte, stieg er die sechs Stufen hinauf, die
zur Eingangstür führten, drückte auf einen Klingelknopf und wartete.
    »Ja, bitte«,
ertönte es nach einer Weile müde aus dem Lautsprecher.
    »Ich bin
es, Volker.«
    »Volker?«,
fragte die Stimme irritiert.
    »Ja, Volker
Weidler.«
    »Ach, Volker,
du bist es. Äh …, ja, dann komm doch rauf. Zweiter Stock links.«
    Das Summen
des Türöffners ertönte, und der Besucher schob sich ins leicht muffig riechende
Treppenhaus. Im zweiten Stock wurde er an der Tür von Bernd Ahrens erwartet, der
einen dunkelblauen Jogginganzug trug, und dem anzusehen war, dass sein Start in
den Tag noch nicht lang her sein konnte.
    »Habe ich
dich geweckt?«
    »Nein, das
nicht«, erwiderte der Hausherr, reckte seine rechte Hand zur Begrüßung nach vorn
und trat anschließend einladend zur Seite.
    »Komm rein.
Aber bitte, denk nichts Falsches von mir, ich habe nämlich nicht mit Besuch gerechnet.
Deshalb sieht es in der Wohnung ein wenig unordentlich aus.«
    »Wenn ich
störe, kann ich auch ein anderes Mal wiederkommen«, entgegnete Weidler, wobei seiner
Stimme anzuhören war, dass er es keinesfalls so meinte, wie er es ausdrückte.
    »Ach, nein,
du störst mich nicht. Ich kriege nur nicht so häufig Besuch, und wenn, dann kündigt
der sich immer vorher an.«
    »Das mache
ich normalerweise ja auch, aber ich hatte keine Telefonnummer von dir.«
    »Ja, die
hätte ich dir vielleicht geben sollen«, gab Ahrens zurück, wobei in seiner Stimme
kein Bedauern über den nicht geschehenen Austausch der Rufnummern zu hören war.
    »Aber jetzt
bin ich ja hier«, überging Weidler den Einwand freundlich. »Bekomme ich vielleicht
auch einen Kaffee bei dir?«
    Bernd Ahrens
schüttelte

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