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Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Titel: Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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ob es besser ist, bis zum Moment X hier stehen zu bleiben
und dann nach vorn zu treten, oder ob es sinnvoller ist, wenn ich mich auf die Schienen
lege. Es ist sozusagen die Generalprobe, damit bei der Premiere, die gleich folgen
wird, alles gut geht.
    Der Triebkopf
des Zuges kam so rasend schnell näher, dass es dem Witwer den Atem verschlug und
er, ohne es steuern zu können, seinen Körper an das Geländer in seinem Rücken presste
und die Hände verkrampfte. Der Krach betäubte seine Ohren, der Druck des Windes
schüttelte seinen Körper und das Rattern der Räder auf dem Stahl der Gleise versetzte
ihn in Panik.
    Oh Gott.
    Schneller,
als er in diesem Augenblick zu denken imstande war, hatte der Zug ihn passiert und
seinen Weg Richtung Bahnhof Vellmar fortgesetzt. Und erst jetzt wurde ihm bewusst,
dass der Lokführer etwa 200 Meter, bevor er an ihm vorbeigerast war, ein Signalhorn
betätigt hatte. Ein Signalhorn, dessen Ton an ihm vorbeigeflogen war, das aber nun
in seinen Ohren nachhallte.
    Es ist kein
Problem, wenn ich mich auf die Schienen lege und warte. Der Zugführer kann mich
erst sehen, wenn er schon fast über mir ist, weil der Übergang in einer leichten
Rechtskurve liegt.
    Wie ein
Blitzlicht tauchte der Gedanke an den Mann oder die Frau im Führerstand auf, doch
Ahrens wischte ihn ebenso schnell wieder weg.
    Gott wird
sich um ihn oder sie kümmern, da bin ich mir sicher. Er wird dafür sorgen, dass
aus meinem Leid kein neues Leid entsteht. Das würde er niemals zulassen, weil er
doch die Menschen liebt.
    Sein Puls
raste noch immer, als er sich langsam von der Barriere löste und Schritt für Schritt
nach vorn bewegte. Der Übergang war mit Holz unterlegt, sodass er nicht einmal einen
Fuß heben musste, um zwischen die Gleise zu treten.
    Nein, das
geht nicht. Ich werde ihm ein Stück entgegengehen. Nur ein paar Meter, aber ich
will nicht, dass der Übergang mit meinem Blut beschmiert wird. Und bluten wird es
bestimmt viel.
    Er setzte
den rechten Fuß auf den Schotter zwischen den Schienen, was ein lautes Knirschen
unter seinen Schuhen auslöste. Sofort zog er den Fuß zurück. Rechts von ihm erklang
in diesem Moment das laute Lachen eines Kindes, gefolgt von einer weiblichen Stimme.
Ahrens sprang zur Seite, wollte sich im Gebüsch verstecken, doch es wurde ihm klar,
dass er damit eher den Argwohn der vorbeikommenden Menschen auf sich ziehen würde.
Also ging er mit gemessenen Schritten auf die Barriere zu, umkurvte sie langsam
und schob sich dann zurück auf den Weg. Eine Frau auf einem Fahrrad, an dem ein
Kinderanhänger befestigt war, kam auf ihn zu. Die beiden Passagiere des kleinen
Zuges waren aufgeregt miteinander am Schnattern und hatten demzufolge überhaupt
keine Augen für ihn. Erst im letzten Moment nahm die Frau ihn wahr, machte einen
kurzen Schlenker nach links, grüßte freundlich eine Entschuldigung und trat auch
schon wieder mit voller Kraft in die Pedale.
    Mein Gott,
eine Frau mit einem Kind. Wenn es tatsächlich eines finalen Zeichens bedurft hätte,
bitte, hier ist es gewesen. Ich freue mich auf euch, Gerlinde und Sarah.
    Ahrens warf
den Kopf herum, weil in seinem Rücken erneut das charakteristische Grollen erklang.
Leise, mehr ein Stampfen, aber mit jeder Sekunde lauter werdend. Mit hektischen
Bewegungen drängte er sich durch die Barriere, bewegte sich geduckt nach rechts,
sprang auf den Schotter der Gleise und hob den Kopf. Zwischen dem leuchtenden Grün
der Bäume konnte er ganz deutlich das nun bedrohlich wirkende Rot des Zuges ausmachen,
der auf ihn zu donnerte. Wie paralysiert nahm er wahr, dass bei dieser Zuggarnitur
die große, schwere, furchteinflößende Lokomotive in Fahrtrichtung angekoppelt war,
also in seine Richtung. Er wollte sich auf die Knie fallen lassen, doch genau in
jenem Sekundenbruchteil, in dem er seinen Muskeln den Befehl geben wollte, sich
zu entspannen, ertönte dieser helle, markerschütternde, alles hinwegfegende Signalton,
der ihn zusammenzucken ließ, der ihn verkrampfen ließ, und im gleichen Augenblick
wurde ihm klar, dass sein Leben zu Ende gehen würde und dass es Gottes Wille war,
dass es zu Ende ging. Irritiert registrierte er dann jedoch ein Gefühl, das er zunächst
nur schwer einordnen konnte, weil sein starrer Blick auf die sich mit aberwitziger
Geschwindigkeit nähernde Lok gerichtet war und seine Gedanken wild in seinem Kopf
hin und her flirrten. Er bemerkte ein Gefühl der Wärme, das sich von seinem Unterleib
Richtung Beine ausbreitete und

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