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Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)

Titel: Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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an die angenehm kühle Querstange der rechten Barriere, schloss
die Augen und dachte an seine Frau.
    Ich weiß,
dass es Sünde ist, Gerlinde, aber was soll ich denn sonst machen? Der Herr hat mich
dazu berufen, es muss sein Wille sein. Also werde ich diesen Weg heute gehen. Ich
werde diesen Weg gehen und ich werde bald bei dir sein. Ich werde mich nicht fürchten
vor den Schmerzen, die ich vermutlich gleich erleiden muss, sondern nur daran denken,
dich zu treffen. Dich und die kleine Sarah, die bestimmt schon laufen kann. Ja,
ganz bestimmt kann sie das schon.
     
    Der Mann am Gatter hätte viel dafür
gegeben, jetzt die Wasserflasche zu haben, die er eine knappe Stunde zuvor in dem
türkischen Lebensmittelmarkt verschmäht hatte. Sein trockener Mund fühlte sich taub
und seifig an, seine Füße schmerzten vom Laufen und seine Blase war zum Bersten
gefüllt.
    Ich habe
keine Angst vor dem Tod. Die Schmerzen beim Aufprall sind sicher sehr unangenehm,
aber ich hoffe, danach geht alles ganz schnell.
    Vor Schmerzen
hatte der Möbelverkäufer schon immer große Angst gehabt, seit ihm als kleines Kind
ein Zahnarzt einen Backenzahn ohne Betäubung gezogen hatte.
    »Es tut
gar nicht weh, du wirst sehen«, hatte der Mann in dem weißen Kittel gesagt, ihm
etwas in den Mund geträufelt, eine Zange eingeführt und den Zahn herausgerissen.
Ahrens hatte laut aufgeschrien und zu allem Unglück noch seine Zunge zwischen Zange
und Kiefer eingeklemmt. Fast eine Woche hatte es gedauert, bis er wieder feste Nahrung
zu sich nehmen konnte, die traumatische Erfahrung des Schmerzes war er bis zu diesem
herrlichen Sommertag im Jahr 2012, an dem er an der Bahnlinie zwischen Kassel und
Hofgeismar stand, nicht mehr losgeworden.
    Er faltete
die Hände und begann zu beten.
    Lieber Gott,
bitte, gib mir die Kraft, es dieses Mal wirklich zu tun. Bitte, gib mir den Mut,
dieses Leben hinter mir zu lassen und mich endlich, endlich wieder mit Gerlinde
und Sarah zu vereinen. Ich weiß, dass der Weg ins Paradies nicht leicht ist, aber
ich möchte ihn gehen. Ich möchte ihn heute, in dieser Stunde gehen.
    Seine Gedanken
schweiften für einen Moment ab. Er nahm die Hände auseinander, weil er nicht wollte,
dass sein Gebet dadurch gestört wurde.
    Diese Männer.
Er hatte schon einmal Besuch gehabt von zwei Männern, das war vor etwa drei Wochen
gewesen. Sein Arbeitgeber hatte sie ihm auf den Hals gehetzt, weil er schon so lang
krank geschrieben war. Sie hatten bei ihm geklingelt und wollten sich einfach mal
nach seinem Gesundheitszustand erkundigen; zumindest war das die offizielle
Version gewesen. Natürlich wusste Ahrens genau, was die beiden wirklich von ihm
wollten. Sie sollten ihn überwachen und ihm irgendein wie auch immer geartetes Fehlverhalten
nachweisen, damit das Möbelhaus, bei dem er angestellt war, ihn endlich entlassen
konnte. Mein lieber Mann, was die sich einbildeten!
    Nein, einen
Betriebsrat konnte man nicht so einfach loswerden, und Bernd Ahrens war seit mehr
als drei Jahren Betriebsrat.
    Und wenn
ich noch ein ganzes Jahr krankgeschrieben bleibe, so einfach kündigen können die
mich nicht.
    Wieder schweiften
seine Gedanken zu den beiden Männern ab, die sich vorhin nach ihm erkundigt hatten.
    Das waren
garantiert wieder welche, die das Möbelhaus ihm geschickt hatte. Bestimmt irgendwelche
Detektive, die auf solche Sachen spezialisiert waren. Immer wieder konnte man doch
lesen, dass Arbeitgeber sich so was rausnahmen. Und das Gipsbein des einen war auf
jeden Fall eine Attrappe gewesen. Daran bestand überhaupt kein Zweifel.
    Er holte
tief Luft, schloss die Augen und umfasste mit den Händen das Metallgeländer hinter
ihm, was ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
    Wie lange
es wohl noch dauert, bis der nächste Zug kommt?
    Wieder atmete
er tief ein und ließ anschließend die verbrauchte Luft langsam und bewusst aus seinen
Lungen strömen.
    Es wäre
vielleicht besser, wenn ich selbst bestimmen könnte, wann es losgeht. Vielleicht
aber auch nicht, damit habe ich schließlich keine guten Erfahrungen gemacht.
    Er dachte
an die Situation auf dem Dach des Kaufhauses und die Tränen, die er dabei und auf
dem Weg nach Hause vergossen hatte.
    Das wird
mir heute erspart bleiben. Es wird mir erspart bleiben, und ich werde Gerlinde und
meine kleine Sarah treffen.
    In der Ferne
wurde ein dumpfes Grollen hörbar, das schnell näher kam und das den Adamsapfel von
Bernd Ahrens in hektische Bewegung versetzte.
    Bei diesem
Zug werde ich schauen,

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