Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
sie war viel zu sehr darauf konzentriert, ihre rechte Hand in die richtige
Position zu bringen, als dass sie sich auf eine Diskussion mit dem Typ über ihr
einlassen wollte.
Es klappt!
Mein Arm ist vor seinem Körper.
Franz Höflehner,
oder wie er auch immer hieß, hatte davon überhaupt nichts mitbekommen. Ohne ihre
Kehle loszulassen, hatte er mit dem Oberarm über das Auge gewischt und so die Spucke
zum größten Teil entfernt. Nun allerdings drückte er umso brutaler zu.
Wo ist oben
und wo unten? Und wo ist vorn und wo ist hinten? Ich will mir, zum Teufel, das Zeug
nicht selbst ins Gesicht jagen.
Ihr rechter
Arm bewegte sich jetzt völlig frei, doch sie fand nicht die richtige Position, um
das Gas risikofrei für sich selbst einsetzen zu können.
Es wird
Zeit, und du hast auch nur einen Schuss. Drück ab und leb vielleicht weiter, oder
lass es und stirb todsicher.
Die Bewegung,
die ihre Hand ausführte, kam ihr entsetzlich langsam vor, und die Furcht, das Gas
möglicherweise wirkungslos in der Gegend zu verteilen, trieb sie fast in den Wahnsinn.
Und doch zog sie den Arm zu sich heran, so weit, dass sie ihre Hand mit der Kartusche
darin sehen konnte, und wollte gerade in Richtung seines Gesichts zielen, als ihr
die kleine Dose aus den Fingern glitt.
V E R D
A M M T E S C H E I S S E!
Der Druck
auf ihrem Hals wurde nun unerträglich, die restliche Atemluft in ihren Lungen war
längst verbraucht, und die Sterne vor ihren Augen hatten sich auch schon wieder
eingefunden. Realistisch betrachtet, konnte man Viola Bremers verbleibende Lebenszeit
in Sekunden messen.
Gib jetzt
bloß nicht auf!
Ihr Arm
fiel neben seinem linken Oberschenkel zu Boden, und sofort begann sie hektisch,
mit der Handfläche das Terrain um sie herum abzutasten.
Nichts.
Nichts. Nichts. Meine Güte, wo ist dieses Scheißding gelandet?
Sein Keuchen
traf ihre Gehörgänge wie ein Sturmtosen.
»Dir werde
ich helfen, nach mir zu spucken, du Miststück! Das ist garantiert das letzte Mal
in deinem wertlosen Leben, dass du einen Mann angespuckt hast.«
Noch immer
hatte ihre Suche zu nichts geführt.
Wo ist dieses
Zeug nur gelandet? Doch, jetzt! Da, direkt unter meinem rechten Oberschenkel.
Mit zitternden
Fingern griff sie zu, hatte einen Moment später die winzige Spraydose in der Hand
liegen, riss den Arm hoch und zielte direkt in das Gesicht des völlig durchgeknallten
Mannes über ihr. In dem Moment, in dem ihr rechter Zeigefinger auf die Oberseite
der Kartusche traf, wurde ihr gesamter Körper von der völlig panischen Illusion
durchzuckt, dass sie die falsche Seite erwischt haben könnte.
Fifty-Fifty,
wie so oft im Leben. Kopf oder Zahl, gerade oder ungerade. Rot oder Schwarz, Hopp
oder Topp.
Wutentbrannt
presste sie den Finger mit voller Kraft nach unten, und noch bevor sie realisiert
hatte, dass aus der kleinen Düse ein kräftiger, transparenter Strahl in seine Augen
schoss, hatte er seine Hände hochgerissen und vor das Gesicht geschlagen. Obwohl
die Flüssigkeit von diesem Augenblick an nur noch seine Finger traf, so hatte sie
trotzdem eine verheerende Wirkung, denn er fing sofort an, sich, vor Schmerzen schreiend,
die Augen zu reiben. Viola Bremer riss die Augen auf, realisierte, dass seine Hände
nicht mehr um ihren Hals lagen, ließ die Dose neben sich fallen, holte aus und schlug
ihm mit so voller Wucht auf die unter seine Händen herausschauende Nase, dass sein
Oberkörper nach hinten geschleudert wurde. Die Frau konnte sehen, dass seine Beine
für einen winzigen Augenblick in der Luft hingen und dass sich sein und ihr Körper
voneinander gelöst hatten. Sie wollte sich drehen und so schnell wie möglich aufspringen,
doch das wollte ihr nicht gelingen, weil ihr geschundener Leib ihr einfach den Befehl
verweigerte. Mit seinen gellenden Schreien in den Ohren, schaffte sie es schließlich,
den Oberkörper aufzurichten und keuchend einen kurzen Rundblick zu nehmen.
Wo, zum
Geier, hat dieses Arschloch mich hin verschleppt?
»Ich bin
blind!«, tönte es jammernd aus seiner Richtung. »Ich kann nichts mehr sehen.«
Bäume. Irgendwo
im Wald.
»Du Ausgeburt
der Hölle hast mir das Augenlicht geraubt!«, schrie der auf dem Boden kniende Mann.
Jener selbstbewusste, eloquente Mann, der sie noch Sekunden zuvor in die ewigen
Jagdgründe hatte schicken wollen.
»Sei froh,
wenn ich dir nicht den Schädel einschlage!«, giftete sie ihn an.
Dann drehte
sie sich nach rechts, stützte sich auf die Hände und kam schwankend auf die
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