Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus (German Edition)
Gesichter: Reihe für Reihe von oben nach unten. In der ersten Reihe sah ich einen Farbigen: Schoko-Schorsch. Mir fiel die Kinnlade runter. Doch bevor ich etwas sagen konnte, war das Foto schon im Kasten. Es würde mich wundern, wenn es in irgendeinem Album kleben oder in irgendeinem Clubhaus hängen sollte.
Bei fast jeder Präsidenten-Sitzung gab es einen Tagesordnungspunkt, der sich mit Schoko-Schorsch beschäftigte. Es wurde diskutiert, ob wir ihn aufnehmen sollten. Jedes Mal wurde abgestimmt, und immer war mindestens einer dagegen – ich. Alle machten sich für Schoko-Schorsch stark, denn sie profitierten von ihm, da einige interessante Geschäfte an ihm hingen. 2001 sollte Schoko-Schorsch deshalb den Amerikanern vorgestellt werden, damit sie begutachteten, ob er wirklich ein Schwarzer sei. Ich musste kein Amerikaner sein, um das zu erkennen. Ein paar Deutsche sollten mit ihm nach Amerika fliegen, damit der nicht gleich auf dem Barbecue-Grill landet – insgesamt dreißig Hells Angels, alles alte Bones. Von den alten Hells Angels wollte keiner mit. Die wollten sich die Show ebenso wenig geben wie ich.
Der Abflugtag rückte immer näher, alles war bezahlt, alles gebucht. Genau einen Tag vor Abflug zog Schoko-Schorsch seinen Schwanz ein: Er traute sich nicht mehr in die Höhle des Löwen. Das war gut so, vor allem für ihn.
Damit war die Geschichte von Schoko-Schorsch endlich vom Tisch, so dachte ich damals. Aber nein: In penetranter Regelmäßigkeit verfolgte es mich bei fast jedem Meeting. Eigentlich werden diese Meetings einberufen, um wichtige und geheime Sachen zu besprechen. Stattdessen beschäftigten wir uns zu oft unnötigerweise mit dem Thema Schoko-Schorsch.
Die German-Officers-Meetings fanden früher einmal im Monat statt; später wurden sie nur noch alle zwei Monate einberufen. Oberste Priorität war die Geheimhaltung, denn die Bullen durften nicht wissen, wann und wo wir uns trafen, damit sie uns nicht abhören konnten. Das klappte zu meiner Zeit leider sehr selten. Denn um so ein Meeting zu planen und durchzuführen, bedarf es etwas Organisationswillens und großer Verschwiegenheit. Doch dazu waren wir Großstadtprinzen und Provinzfürsten überhaupt nicht in der Lage. Obwohl es nicht sehr schwer war, rund sechzig böse, breite und grimmig schauende Präsidenten und Vize-Präsidenten an einem beliebig wählbaren Ort im Lande für drei bis vier Stunden zu versammeln, ohne dass die Bullerei schon Wochen zuvor Bescheid wusste.
Unmöglich schien es auch, von einer clubfremden Person wie Opa, Tante, Cousin oder Nachbars Rottweiler einen Raum in einer Kneipe anmieten zu lassen und dazu auch noch ein vernünftiges Catering zu bestellen. Jeder Gaststättenbesitzer hätte sich über solch eine Buchung gefreut, zumal Geld bei uns nie eine Rolle spielte. Unsere Rechnungen haben wir immer gezahlt, und reichlich Trinkgeld gab es auch.
Die nächste unüberwindbare Hürde für viele Präsidenten und Vize-Präsidenten war, sich Termin und Örtlichkeit für das Meeting zu merken. Deshalb schrieben sie es sich auf, steckten den Notizzettel ein. Dieser wurde dann natürlich prompt bei der nächsten Kontrolle von den Bullen gefunden.
Hinzu kamen die speziellen Schwierigkeiten einiger Officers, zum Beispiel von Dirty Daddy, einem kleinen, stets sonnenbebrillten und pillendealenden Freier aus dem Norden der Republik. Als Thailandliebhaber war er ein Freund äußerst junger Mädchen, bei denen der natürliche Haarwuchs noch gar nicht begonnen hatte. Er machte immer auf dicke Hose und brachte es tatsächlich fertig, ein Meeting in einem Kongresszentrum auszurichten, in dem an einem Wochenende zeitgleich eine große Biker-Show stattfand und eine Etage über uns die Kripo zusammen mit einem SEK tagte.
Wie lief so ein Meeting ab? Das ausrichtende Charter organisierte die Anfahrt aller Teilnehmer zum Treffpunkt und sorgte für das leibliche Wohl. Während des Meetings hatte es den Tagesvorsitz inne. Dessen Sergeant at Arms war außerdem für die Worterteilung verantwortlich. Es herrschte Anwesenheitspflicht: Das Nichterscheinen eines Präsidenten oder Vize-Präsidenten kostete zweieinhalbtausend Euro, Zuspätkommen wurde je nach Absprache mit fünfhundert bis tausend Euro zugunsten der Clubkasse bestraft.
Vor Beginn des Meetings sammelte der Sergeant at Arms alle Handys ein, damit die Bullen uns nicht abhören konnten. Bei Razzien und Hausdurchsuchungen
Hells Angels on tour (Quelle: (c)
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