Höllenschlund
Ich werde ihn sofort anrufen.«
Stocker war zu Hause und freute sich, wieder einmal von Angela zu hören. »Geht es Ihnen gut? Ich habe von dem Mord in der Bibliothek erfahren und schon versucht, Sie zu Hause anzurufen.«
»Mit mir ist alles in Ordnung. Ich erzähle Ihnen später davon. Jetzt möchte ich Sie aber um einen Gefallen bitten.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass ich Ihnen von einer Artischocken-Gesellschaft erzählt habe. Mich würde interessieren, ob Sie bei Ihren Nachforschungen mehr darüber herausgefunden haben?«
»Jeffersons Geheimklub?«
»Genau der. Was wissen Sie darüber?«
»Inzwischen bin ich auf einen Artikel über Geheimgesellschaften an der University of Virginia gestoßen. Darin wird dieser Klub erwähnt. Aber ich bin der Sache dann gar nicht weiter nachgegangen, einfach weil sie offenbar keine große Bedeutung hat.«
»Wissen Sie noch, wer den Artikel geschrieben hat?«
»Ein Professor an der UVA. Ich gebe Ihnen seinen Namen und seine Telefonnummer.«
Sie notierte sich die Informationen und sagte zu Stocker, dass sie sich wieder bei ihm melden werde. Dann teilte sie den Trouts mit, was sie erfahren hatte. Gamay machte sich sofort an die Aufgabe, den Professor ans Telefon zu bekommen.
»Gute Neuigkeiten«, sagte sie, nachdem sie aufgelegt hatte.
»Der Professor würde sich zwischen zwei Seminaren gerne mit uns treffen, aber wir müssen uns beeilen.«
Trout drückte aufs Gaspedal.
»Nächster Halt: University of Virginia.«
39
Die Witwe des verstorbenen Wracktauchers lebte in einem quadratischen, dreistöckigen Haus, das einst einen eleganten Anblick geboten haben mochte, bevor dann aber die jahrelange Vernachlässigung ihren Tribut gefordert hatte. Die uralte gelbe Farbe blätterte ab. Die Läden hingen schief in den Fensterrahmen. Der Eindruck der Baufälligkeit verflüchtigte sich jedoch, wenn man den frisch gemähten Rasen und die ordentlichen Blumenbeete vor dem Haus betrachtete.
Austin drückte auf den Klingelknopf. Als er kein Läuten hörte, klopfte er an die Tür. Niemand antwortete. Dann pochte er, so laut er konnte, ohne sich die Knöchel zu brechen oder die Tür einzuschlagen.
»Ich komme ja schon!« Ein weißhaarige Frau kam hinter dem Haus hervor. »Entschuldigung«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Ich war draußen im Garten.«
»Mrs. Hutchins?«, fragte Austin.
»Nennen Sie mich doch Thelma.«
Sie wischte sich den Schmutz von den Händen und schüttelte erst Austin und dann auch Zavala die Hand. Ihr Griff war erstaunlich fest, und beide Männer spürten die Schwielen an ihrer Hand.
Austin und Zavala stellten sich vor.
Sie kniff die stahlblauen Augen leicht zusammen. »Sie haben mir am Telefon gar nicht gesagt, wie gut Sie aussehen«, bemerkte Thelma lächelnd. »Dann hätte ich mich etwas aufgetakelt, statt Ihnen wie ein altes Sumpfhuhn gegenüberzutreten. Sie sind es also, der Hutchs Helm gefunden hat.«
Austin zeigte auf den Cherokee, der vor dem Haus stand.
»Er liegt hinten auf der Ladefläche des Jeeps.«
Thelma marschierte zielstrebig die Auffahrt hinunter und öffnete die Heckklappe des Wagens. Der Helm war von Meeresvegetation gesäubert worden, und nun glänzten das Messing und das Kupfer im Sonnenlicht.
Sie strich zärtlich mit den Fingern über die Wölbung des Helms. »Das ist eindeutig Hutchs Blecheimer«, sagte sie und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Liegt er immer noch da unten?«
Austin erinnerte sich an den grinsenden Schädel. »Ich fürchte ja. Möchten Sie, dass wir die Küstenwache verständigen, damit man seine sterblichen Überreste bergen und bestatten kann?«
»Lassen wir den alten Knaben lieber da, wo er ist«, sagte Thelma. »Man würde seine Knochen ja auch nur in die Erde legen. Das hätte ihm sicher nicht gefallen. Ich hatte seitdem zwei Ehemänner, sie mögen in Frieden ruhen, aber Hutch war der erste und der allerbeste. Das möchte ich ihm nicht antun. Kommen Sie mit nach hinten. Wir werden einen privaten Gedenkgottesdienst für ihn abhalten.«
Austin tauschte einen amüsierten Blick mit Zavala aus.
Thelma Hutchins war keineswegs die gebrechliche alte Dame, mit der sie gerechnet hatten. Sie war groß und hielt sich gerade, ohne die Schultern zu beugen, wie es Menschen in ihrem Alter häufig taten. Außerdem bewegte sie sich mit sicheren Schritten, als sie Austin und Zavala zu einem verwitterten Holztisch unter einem verblassten
Cinzano
Sonnenschirm führte. Dann sagte Thelma, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher