Höllenschlund
Geheimdienst gleichbedeutend war.
»Sehr freundlich von Ihnen, dass sie hierhergekommen sind.«
»Freundlichkeit hat damit wenig zu tun.« Er schlug den Ordner auf. »Das ist die Akte des echten Hassan.« Seine manikürten Finger nahmen mehrere zusammengeheftete Blätter heraus, die er Saxon hinschob. »Und das ist die Liste der antiken Kunstschätze.«
Saxon las die Liste, die auf Englisch verfasst war. »Sie entspricht der Liste, die vom Museum in Bagdad veröffentlicht wurde.«
»Dann fürchte ich, dass Sie zu spät kommen.« Yousef lehnte sich zurück und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Diese Objekte wurden von der Armee fortgeschafft.
Sie befinden sich in der Obhut eines UNESCO-Vertreters.
Am Tag nach dem Abtransport wurde Hassan gefoltert und ermordet.« Yousef zog die Handkante quer über den Hals.
»Wenn er überhaupt keine antiken Kunstwerke besaß, warum hat er es mir dann erzählt?«
»Ein Dieb kann das Stehlen nicht lassen. Vielleicht hat er gedacht, er könnte einen reichen Ausländer betrügen.«
»Wissen Sie, wer ihn umgebracht hat?«
»Wir arbeiten daran.«
»Wer war der UNESCO-Vertreter?«
»Eine Italienerin. Ihr Name ist Carina Mechadi.«
»Wissen Sie, ob sie sich noch in Kairo befindet?«
»Sie hat die Stadt per Schiff verlassen, zusammen mit den Kunstobjekten. Sie bringt sie in die Vereinigten Staaten, im Zuge einer Vereinbarung mit der Führung in Bagdad.«
Saxon gab sich geschlagen. Er war so nah am Ziel gewesen. »Darf ich jetzt gehen?«
»Jederzeit.« Yousef stand auf. »Am Ende steht bei allem immer eine Frau im Mittelpunkt.«
»Miss Mechadi?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Königin von Saba.«
Der Ägypter schenkte ihm ein undurchdringliches Lächeln und hielt die Tür auf.
Saxon fuhr ins Marriott Hotel zurück. In seinem Zimmer erledigte er ein paar Telefonate und erreichte einen Bekannten bei der UNESCO, der ihm bestätigen konnte, dass Carina Mechadi auf dem Weg nach Amerika war.
Saxon trat ans Fenster und blickte auf den ewigen Nil und die glitzernden Lichter der Altstadt hinaus. Er rief sich Yousefs Lächeln zurück und auch seine Bemerkung über den Geist einer Frau, die vor dreitausend Jahren gestorben war.
Nach kurzer Überlegung nahm er noch einmal den Hörer ab und buchte ein Flugticket in die USA. Dann packte er seine Sachen.
Seine lange Suche nach der vollkommenen Frau hatte ihn in die entlegensten und gefährlichsten Winkel der Welt geführt. Er war nicht bereit, jetzt aufzugeben.
8
Das Containerschiff
Ocean Adventure
konnte fast zweitausend Container transportieren, aber selbst mit seinen siebentausend Tonnen und einer Länge von fünfhundert Fuß war es nur ein Winzling, verglichen mit den neueren Modellen, die bis zu drei Fußballfelder lang waren. Das Gefühl für räumliche Verhältnisse war Carina Mechadi abhanden gekommen, als sie in der schneidenden Kälte des Nordatlantiks über das weite Schiffsdeck schritt.
Seit sie in Salerno an Bord gegangen war, war sie jeden Morgen früh aufgestanden und von ihrer Kabine im dritten Stock des Brückenhauses hinabgestiegen, um vor dem Frühstück einen schnellen Spaziergang zu machen. Den Antrieb dazu gaben ihr die überflüssige Sorge um ihre schlanke Linie und das Bedürfnis, ihre Ungeduld zu bezähmen, endlich das Fahrtziel zu erreichen. Die Anzahl ihrer Runden variierten entsprechend der Wetterlage, die sich zwischen unangenehmer Feuchtigkeit und beißender Kaltluft bewegte, die von der Küste Neufundlands kam.
Die
Ocean Adventure
hatte kaum etwas von der Romantik, die Joseph Conrad in seinen Geschichten von kühnen Dampfschiffen, die in einem vergangenen Zeitalter über die Weltmeere gefahren waren, unsterblich gemacht hatte. Das Schiff war eine hochseetaugliche Plattform, die zwanzig Fuß lange und acht Fuß hohe Stahlcontainer transportierte. Sie waren in sechs Lagen übereinander gestapelt und nahmen fast das gesamte Deck ein, bis auf das Vor- und Achterdeck und die schmalen seitlichen Gänge. Hunderte weiterer Container stauten sich auf dem Unterdeck.
Während Carina an der Steuerbordseite entlangging, rief sie sich die Kette von Ereignissen in Erinnerung, die sie auf dieses Schiff gebracht hatten, das nun durch den Atlantik pflügte. Der Mord an Ali Babbas vor ein paar Jahren in Bagdad hatte sie schockiert, aber nicht überrascht. Ständig lauerte Gewalt hinter den Kulissen des gewinnträchtigen, illegalen Antiquitätenhandels. Es war eine undurchsichtige Szene, in der enorme
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