Höllenschlund
dem Sichtfeld verschwanden. Das Geräusch der knatternden Rotorblätter verhallte. Die Hubschrauber waren offensichtlich oben auf den Containern gelandet.
Carina war überzeugt, dass sie die Besucher kennenlernen würde, wenn sie in die Messe ging. Sie hatte sich gerade wieder in Bewegung gesetzt, als sie wie angewurzelt stehen blieb.
Von oben sprang eine Gestalt mit einem Tau von einem der Containerstapel herunter und landete auf dem Deck. Drei weitere Gestalten seilten sich an dem Tau ab. Masken verbargen die Gesichter bis auf die Augen. Die Leute trugen eng anliegende schwarze Uniformen und waren mit kurzläufigen Automatikwaffen ausgestattet.
Carina drehte sich um und rannte los, doch vier weitere bewaffnete Gestalten waren schon von den Stapeln hinter ihr heruntergeklettert und versperrten ihr den Weg. Einer packte sie am Arm, drehte sie um, und ihre Handgelenke wurden grob mit Klebeband auf ihrem Rücken gefesselt.
Sie wurde in Richtung Brücke geschubst, und jemand rammte ihr einen Gewehrlauf zwischen die Schulterblätter.
Weitere Gestalten kamen in ihre Richtung gelaufen. Carina erkannte zwei Filipinos aus der Crew. Sie sah ihre lächelnden Gesichter, und nun war die Situation glasklar. Die Filipinos arbeiteten mit den Piraten zusammen.
Die Bande teilte sich in zwei Gruppen auf. Eins der Crewmitglieder ging mit vier Kaperern in Richtung Brückenhaus. Der andere führte sie übers Deck. Die ganze Aktion hatte sich schweigend abgespielt. Die Männer wussten genau, was sie taten und was sie wollten, dachte Carina. Aber sie war sprachlos, als das Crewmitglied sie zu dem Container führte, in dem sich ihre Kunstschätze befanden, und mit behandschuhten Fingerknöcheln an das Metall klopfte. Der Container war zwischen anderen eingeklemmt. Einer der Piraten öffnete einen Stahlkoffer und nahm einen Schweißbrenner und eine Sauerstoffflasche heraus, zündete die Flamme an und stellte sie auf eine kleine Größe ein. Er setzte eine Schutzbrille auf, um seine Augen vor dem Funkenregen zu schützen, und begann, systematisch ein Loch in die Containerwand zu schneiden.
Ein unfreiwilliger Protestschrei kam über Carinas Lippen.
Sofort kam es zur Gegenreaktion. Einer der Männer packte ihre Arme und trat zugleich gegen ihre Fußknöchel. Carina verlor den Halt, weil sie die Arme nicht benutzen konnte, um den Sturz zu verhindern, und fiel hin. Ihre Stirn knallte gegen eine harte Oberfläche, sie wurde ohnmächtig.
Als sie wieder zu Bewusstsein kam, lag sie im Halbdunkel auf dem Rücken. Ihr Schädel pochte. Sie rollte sich auf die Seite und bemerkte, dass sie zwischen zwei Holzkisten in ihrem Container eingekeilt war. Durch eine rechteckige, vom Schneidbrenner erzeugte scharfkantige Öffnung drang Licht herein.
Sie versuchte aufzustehen, doch es war nicht einfach, mit auf dem Rücken gefesselten Händen die Füße unter den Körper zu ziehen. Dann wurde ihr schwindlig von der Anstrengung. Während sie schwer atmend auf dem kalten Stahlboden lag, sah sie plötzlich einen Schatten. Ein Mann blickte durch die Öffnung zu ihr herein. Sein Gesicht war ein wenig pausbäckig, aber die runden Augen, die sie aus diesem engelhaften Gesicht anblickten, hatten einen dämonischen Ausdruck.
Carina gefror das Blut in den Adern. Es war eins der angsteinflößendsten Gesichter, die sie jemals gesehen hatte.
Ihre Miene musste ihre Gedanken verraten haben, denn der Mann lächelte.
Carina war beinahe froh, als sie spürte, dass sie gleich erneut das Bewusstsein verlieren würde.
9
Die orange-weiße HC-130 Hercules, ein für Langstrecken geeignetes Überwachungsflugzeug, war bei Sonnenaufgang in St. John’s zu einem Siebenstundenflug für die International Ice Patrol gestartet. Bei einer Geschwindigkeit von über sechshundert Stundenkilometern konnte der Hochdecker in dieser Zeit eine Meeresfläche von fünfzigtausend Quadratkilometern abfliegen.
Der Mann von der Küstenwache an der Flugzeugradarkonsole träumte gerade von seiner bevorstehenden Verabredung mit einer jungen Neufundländerin. Er feilte an einem Plan, wie er sie ins Bett bekommen konnte, als ein verdächtiger Leuchtpunkt auf dem Radarschirm auftauchte.
Seine Reaktion war routiniert. Der Lotse verscheuchte die lüsternen Gedanken und konzentrierte sich auf das Radar.
Die viermotorige Turboprop besaß Front- und Seitensichtradar. Das Seitensichtradar hatte das große Objekt auf dem Wasser etwa dreißig Kilometer nördlich geortet.
Das Aufspüren von Eisbergen
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