Höllenscript
eine Mauer oder Wand, rieb ihre Schulter und streckte den Arm schließlich aus. Sehr bald schon ertastete sie das Hindernis. Es war lang, kalt und bestand aus Metall.
Ein Gitter!
Himmel, ein Gitter!
Wie bei einem Käfig. Plötzlich raste ihr Herzschlag. Claudine konnte nicht fassen, daß sie wie ein Tier in einen Käfig gesteckt worden war.
Die Berührung hatte sie aus ihrem traumatischen Zustand geholt und dafür gesorgt, daß sie nachdenken konnte. Claudine erinnerte sich an das Feuerzeug in der Hosentasche. Mit zitternden Fingern holte sie es hervor und ließ die kleine Flamme tanzen, als sie die halb erhobene Hand im Kreis bewegte.
Ein matter Glanz traf immer dann ihre Augen, wenn der Widerschein über die blanken Stäbe hinwegglitt, die sie als Viereck umschlossen hielten.
Ja, es war ein Käfig. Sie sah sogar eine schmale Gittertür, die aber war abgeschlossen.
Claudine löschte das Licht. Beim Aufstehen hielt sie sich an einem der Stäbe fest, weil ihre Beine zitterten. Sie bemerkte, daß der Boden unter ihren Füßen schwankte, oder bildete sie sich das nur ein?
Sie schaute durch den Spalt zwischen zwei Metallstäben. Den rechten Arm hatte sie vorgestreckt und zündete das Feuerzeug. Die Flamme leuchtete ins Leere. Nein, nicht ganz, denn an der rechten Seite sah sie den Beginn eines dunklen Gegenstandes, von dem sie nicht wußte, was er darstellen sollte.
Vielleicht den Rand eines Tisches? Claudine konnte nichts mehr herausfinden, weil sie einfach zu ungünstig stand, aber die Angst war nicht gewichen. Noch immer ging sie davon aus, daß man sie in eine Höhle gesperrt hatte.
Warum?
Wer war der Unbekannte? Wo hielt er sich jetzt auf? Sie fing an zu zittern und zu frieren. Schweiß klebte auf ihrem Körper. Wieder stand sie im Dunkeln. Es gefiel ihr auch besser. Diese Gitterstäbe zu sehen machte sie einfach rasend.
Aber Claudine benutzte sie als Stütze, sonst wäre sie noch zusammengesackt. Sie brauchte das einfach. Es war ein Halt, er würde sie nicht schützen, aber er machte es ihr leichter.
Claudine weinte stumm. Sie zitterte nicht mal. Sie war plötzlich lethargisch geworden. Die Zeit spielte keine Rolle mehr für sie. Alles war so anders, so schrecklich, und sie wußte, daß sie aus eigener Kraft hier nicht mehr wegkam.
Bis sie das Lachen hörte und das Licht sah. Es stach grell von der Seite her in ihren Käfig hinein. So weiß und schattenlos wie das Licht eines Scheinwerfers. Der Strahl war nicht so breit, als daß er den gesamten Käfig ausgefüllt hätte, und er drang auch nicht von der Decke her auf sie zu, sondern von der Seite, leicht erhöht stehend, und zwar dort, wo sie die Kante des Möbelstücks entdeckt hatte.
Das Model drehte geblendet den Kopf. Wieder hörte sie das Lachen, und wenig später veränderte der Strahl seine Richtung. Er senkte sich und beleuchtete, als er erneut zur Ruhe kam, nur den unteren Teil des Körpers.
Das Lachen war verklungen, aber Claudine wußte genau, wo es aufgeklungen war. Sie kannte es auch. Es stammte von dem unbekannten Entführer, und sehr langsam drehte sie ihm den Kopf zu.
Sie sah tatsächlich einen breiten Schreibtisch, hinter dem der andere seinen Platz gefunden hatte. Er hockte dort wie ein Mensch, der genau wußte, daß ihm der Sieg gehörte. Sein Gesicht war nicht genau zu erkennen, denn es hob sich ebenso schwach ab wie der Körper.
»Na…?«
Claudine schloß für einen Moment die Augen. Die Stimme sorgte wieder für einen Furchtstoß. Sie hatte so überheblich geklungen und gleichzeitig auch, als wäre sie von einer Maschine angesprochen worden und nicht von einem Menschen.
»Du kannst ruhig reden, Claudine.«
Sie nickte mehrmals. Trotzdem fiel es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Auch die Frage, die sie stellte, kam ihr letztendlich lächerlich vor.
»Wo bin ich hier?«
»Oh – du bist bei mir.«
»Das, das – weiß ich, aber…«
»In meinem Versteck.« Auf weitere Einzelheiten ging der andere nicht ein. »Aber ich kann dir versichern, daß unser Spiel erst noch am Beginn steht.«
Sie lachte nur.
»Was hast du?«
»Ich stecke in einem Käfig!« flüsterte Claudine, um kurz danach loszuschreien. »In einem verdammten Käfig. Ich – ich bin zu einem Tier degradiert worden. Ich bin kein Mensch mehr, ich bin ein Tier! Tiere steckt man in Käfige, und auch dann ist es noch eine verfluchte Quälerei. Begreifst du das?«
»Natürlich. Aber was soll ich machen? Es ist wichtig für mich, für dich und für das
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