Höllenstadt
schien der andere immer erst noch Luft holen zu wollen. Ein ekliges Tier, riesig und verfressen.
Nein, das ist nicht mein Kind. Das kann es nicht sein. Bestimmt nicht. Die Geräusche sind nicht echt.
Aber das Weinen vorhin war echt gewesen!
Martha Caine war durcheinander. Sie kam jetzt überhaupt nicht mehr mit den Dingen zurecht. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Das war nun nicht mehr nötig, denn plötzlich war das Grunzen verstummt.
Aus, vorbei. Stille war eingetreten. Von einer Sekunde zur anderen. Martha freute sich nicht darüber, denn die Belastung blieb. Es war keine Stabilisierung eingetreten, nur eine Pause.
Aber die dauerte nicht lange.
Aus dem Kinderzimmer hörte sie einen harten Knall. Martha wußte sofort, was es gewesen war. Das Fenster, noch eines dieser alten Schiebefenster, war geöffnet worden und dann zugefallen.
Deshalb der Knall!
Sie hatte das Fenster nicht geöffnet, das wußte sie genau. Es war geschlossen gewesen, das hatte Martha noch vor dem Zubettgehen festgestellt.
Morton war ein Baby. Er konnte nicht aufstehen und das Fenster hochschieben. Das mußte jemand anderer getan haben. Von außen. Einer, der eingedrungen war.
Ein Dieb. Oder ein Tier?
Sie dachte an das Grunzen und schüttelte sich. Ihr war plötzlich kalt geworden, obwohl ihr der Schweiß ausbrach.
Martha hörte nichts mehr. Sie lauschte an der Tür. Es war und blieb still. Im Zimmer dahinter lastete die Stille so tief wie in einem Grab.
Noch hielt sie den Knauf fest. Sie mußte ihn bewegen, um die Tür zu öffnen. Das tat sie auch. Eine kurze Drehung. Alles klappte prima. Sie konnte das Zimmer betreten.
Dunkel war es, aber nicht zu finster. Außerdem kannte sie sich aus. Das kleine Bett stand links von der Tür. Rechts vom Eingang lagen die Regalbretter. Ihr Mann Dick hatte sie in einem Baumarkt gekauft. Er wollte daraus Möbel für seinen Sohn basteln. Ansonsten gab es nur den Wickeltisch und den schmalen Schrank, in dem all das untergebracht war, was das Kind benötigte.
Martha Caine ging noch einen Schritt weiter. Danach blieb sie wieder stehen und lauschte. Sie wollte den kleinen Morton atmen hören, dann wußte sie wenigstens, daß er lebte. Doch sie hörte nichts.
Sie kannte ihren Jungen, beobachtete ihn genau. Er war gesund. Er atmete stets ruhig. Da war kein Röcheln, kein gefährlich klingendes Husten. Bisher jedenfalls, doch jetzt atmete er nicht mehr.
Martha überlegte. Mit der rechten Hand strich sie über ihr braunes Haar. Es war kurz und fransig geschnitten und lag wie eine Kappe auf ihrem Kopf. Martha war keine Schönheit, eine Durchschnittsfrau mit allen Vor- und Nachteilen, wie Dick immer sagte. Aber er liebte sie trotzdem oder vielleicht deswegen.
Wäre er doch bei ihr gewesen, um sie zu trösten! So aber mußte sie es allein durchstehen, und sie traute sich noch nicht näher an das Kinderbett heran, sondern starrte auf das Fenster, in dessen Ausschnitt sich die dunkelblaue Farbe der Nacht abzeichnete. Ein beinahe voller Mond stand am Himmel, als würde <*r die Erde mitsamt ihren zahlreichen Lebewesen beobachten.
Am Fenster bewegte sich nichts. Und doch hörte sie ein Geräusch. Von der linken Seite her. Genau dort lag ihr Sohn in seinem Bett. Er hatte sich bewegt, sich umgedreht und dabei ein Geräusch erzeugt, mit dem Martha ebenfalls nicht so zurechtkam.
Es hatte sich angehört wie ein Schmatzen oder wie ein Schnalzen.
War es normal gewesen?
Martha konnte die Frage weder bejahen noch verneinen. Sie war zu sehr durcheinander. Es hätte sein können. Nur hatte sie nichts davon. Um es sehen zu können, mußte sie das Licht einschalten und zum Bett hingehen.
Genau davor fürchtete sie sich!
Es gab für sie keinen normalen Grund. Allein die Erinnerung an das Vergangene hatte sie bisher davon abgehalten. Auf der einen Seite drängte die Neugier in ihr hoch, auf der anderen fürchtete sich die Frau vor der vollen Wahrheit.
Die Zwickmühle bestand weiterhin. Martha aber brauchte eine Entscheidung. Eine dritte Möglichkeit, sich wieder in das Schlafzimmer zurückzuziehen, kam für sie nicht in Betracht.
Also schauen.
Überaus langsam drehte sie sich nach links. Um den Lichtschalter zu erreichen, mußte sie den Arm ausstrecken. Dabei machte sie die Finger lang. Sie zitterten, aber das war ihr in diesem Moment egal. Wichtig allein war das Licht.
Kein grelles Licht, sondern ein weicher Schein. Herbeigezaubert durch die fröhlichen und hellen Farben.
Der Schein verteilte
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