Höllenstadt
sie auf, und ihr Blick fiel wieder auf den Klotz mit den Messern.
Sie war auf gleicher Höhe mit ihm stehengeblieben. Die Griffe ragten hervor. Blind hätte sie die Messer in die Hand nehmen können. Sie wußte genau, wohin sie zu greifen hatte, und hier wollte sie die stärkste Klinge einsetzen.
Marthas Gesicht blieb ausdruckslos. Wichtig war einzig und allein die Waffe. Martha konnte sich noch einen Plan zürechtlegen, denn der Wechselbalg fraß unbeirrt weiter. Seine runden und vorstehenden Augen schimmerten dunkel. Er war einfach nicht zu stoppen. Er schmatzte, schlürfte und gurgelte. Reste lagen auf dem Küchenboden verteilt. Das Maul bewegte sich wie ein Uhrwerk. Es klappte auf und zu. Der unförmige Kopf nickte im selben Rhythmus.
Martha ging wieder nach vorn. Sie war jetzt ruhig, sehr ruhig. In ihrem Gesicht bewegte sich nichts. Die Lippen hielt sie fest zusammengepreßt, und sie atmete durch die Nase. Mit der linken Hand hatte sie die Waffe aus dem Block hervorgezogen, jetzt hielt sie die Klinge in der rechten.
Sie wollte sichergehen, diesen kleinen Unhold auch vernichten zu können. Wäre es ihr möglich gewesen, mit ihm zu sprechen, dann hätte sie den Wechselbalg nach ihrem Sohn gefragt, so aber blieb ihr nur der Versuch, den anderen zu töten.
Ihr Gesicht zeigte eine wahnsinnige Anspannung. Sie zitterte und ahnte, daß sie sich keine Fehlstöße erlauben konnte. Es sollte schnell über die Bühne gehen.
Um die Frau kümmerte sich der Wechselbalg nicht. Er kippte auch weiterhin alles mögliche in sich hinein, hatte nun eine Tüte Popcorn vor sich. Als bösartiger Zwerg saß er auf der Arbeitsplatte. Hektisch zuckend, ein widerliches Monstrum, das es nur in schrecklichen Märchen oder Legenden gab.
Sie kam näher.
Dann der nächste Schritt.
Martha Caine wunderte sich darüber, wie ruhig sie war. Das passierte ihr sonst nicht, aber sie dachte wohl unbewußt an ihren Sohn und dessen Schicksal, und das machte eine Frau und Mutter wie sie mutig.
Das kleine Monstrum fraß weiter.
Die Geräusche hörte Martha schon nicht mehr. Sie hatte sich einfach daran gewöhnt, und sie starrte ihn unverwandt an.
Das beste Ziel bot die Brust. Hart umfaßte ihre rechte Hand den Messergriff. So nahe wie jetzt war sie bisher noch nicht an das Wesen herangekommen. Sie konnte in seine Augen schauen. Sie sah den Blick, diesen abartigen Glanz.
Dann holte sie aus – und stieß zu!
Es war ihr gar nicht so bewußt gewesen, bis es passiert war.
Sofort zog sie das Messer wieder aus der Schulter. Mit ihm drang eine dunkle Flüssigkeit aus der Wunde. Sie sah aus wie Schweröl.
Der Wechselbalg erstarrte. Er schleuderte seine Popcorn-Tiite wütend weg, heulte auf und schlug nach der Angreiferin.
Der zweite Stich erwischte die linke Hand des kleinen Unholds. Aber nicht voll, auch wenn sie blutetet. Das alienhafte Ding bewegte sich heftig. Es konnte plötzlich schreien. Hohe Töne drangen aus seinem Mund. Sie hörten sich an, als hätte jemand über verstimmte Geigensaiten gestrichen. Aus seiner hockenden Haltung hervor sprang es in die Höhe. Die Schreie blieben. Sie verwandelten sich in ein Quieken, und noch immer schlug es voller Hektik um sich.
»Daaaa!« brüllte Martha und stach erneut zu. Auch sie war beinahe in Panik geraten und hatte nicht unbedingt den Überblick behalten. Das Messer streifte den kurzen, dicken Hals des Monstrums und hinterließ dort eine Schramme.
Der Wechselbalg wehrte sich. Er hatte sich trotz der Wunden in eine kleine Furie verwandelt. Er nahm keine Rücksicht mehr, sondern stieß sich ab und sprang auf das Fenster zu.
Die Scheibe zerplatzte. Zahlreiche Splitter segelten nach draußen. Aus dem Maul drangen wieder die schrillen Schreie des Wechselbalgs. Wie ein dicker Klumpen, der von starken Händen geworfen war, hechtete es hinaus in die Dunkelheit, verschwand aus dem Blick der Frau.
Martha blieb in der Küche stehen. Ihre Hand mit dem Messer zuckte noch mal nach vorn, ohne allerdings ein Ziel zu haben. Das war längst in der Nacht untergetaucht.
Sie atmete schwer. Noch immer konnte sie es nicht fassen. Kreislaufprobleme machten ihr zu schaffen. Einen Schwindelanfall konnte sie gerade noch unterdrücken.
Mit dem Messer in der Hand blieb sie wie festgewachsen auf der Stelle stehen. Sie durchlebte den Alptraum noch einmal, aber der Wechselbalg kehrte nicht mehr zurück. Er hatte auf seine Art reagiert und war verschwunden.
Nur allmählich kam Martha zu sich. Was sie hinter sich hatte, das
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