Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
fast allem fertig.
Die Frau eines Seemanns wird sich wohl kaum die Frage stellen, ob ihr Mann irgendwann in eine gefährliche Situation geraten könnte, sondern wann das geschehen wird. Wir hofften beide ganz einfach, dass uns die gefährlichste Situation – ein Piratenangriff – erspart bleiben würde.
Am 5. April schickte mir Andrea eine E-Mail mit Neuigkeiten über ihre Stiefmutter Tina und deren Mann Frank:
Hallo Du,
jetzt ist es 07.00, und Mariah musste mich aufwecken, um mir zu erzählen, dass es schneit. Sie wollte zur Scheune hinaus… Der Empfang bei Tina [Gedenkfeier] war richtig nett, trotz des nasskalten Wetters… Vielleicht sollten wir meine Mutter und Frank zusammenbringen? Ich musste lachen.
Und Du fehlst mir. Manchmal wache ich auf Deiner Bettseite auf. Hoffentlich ist alles OK bei Dir. Möchte Deine Stimme wieder hören.
ALLES LIEBE Andrea
FÜNF
- 3 Tage
»Man stirbt nur einmal.«
Somalischer Pirat an Bord eines entführten ukrainischen Schiffs,Telefoninterview, The New York Times, 30. September 2008
D ie Fahrt nach Dschibuti verlief ohne Zwischenfälle. Über Funk hörten wir immer wieder, dass Piratenboote gesichtet worden seien, aber wir selbst bekamen keine zu sehen, und sie tauchten auch nicht auf unserem Radarschirm auf. Wir fuhren in südwestlicher Richtung an der Küste des Jemen entlang und kamen am 5. April an. Das Löschen der Fracht im Hafen war anstrengend und dauerte einen Tag. Am nächsten Tag, dem 6. April, legten wir ab und dampften Richtung Nordosten. Die Hälfte des Trips durch den Golf von Aden hatten wir jetzt hinter uns. Wir waren gut hineingekommen. Jetzt mussten wir nur noch heil wieder hinaus kommen und das Horn von Afrika umrunden.
Jeder Hafen auf der Welt hat seinen Ruf. Seeleute beurteilen die Häfen nach strengen Kriterien, die sich seit dreihundert Jahren nicht verändert haben. Ist der Hafen billig? Gibt es dort oder in der Nähe Mädchen? Gibt es Bier? Gibt es etwas zu tun? Das wär’s dann schon. Wenn die Antwort auf alle vier Fragen ja lautet, werden sich die Seemänner in den Versammlungsräumen der Gewerkschaften, den Union Halls (in denen Jobs auf den Schiffen vermittelt werden), darum prügeln, auf die Schiffe zu kommen, die dort hinfahren. Alexandria in Ägypten zum Beispiel ist ein großartiger Hafen, alles ist billig dort und man kann in einen Zug steigen und ist in einer Stunde bei den Pyramiden. In Subic Bay auf den Philippinen ist das Bier scheißbillig und es gibt massenweise hübsche Frauen mit lockerer Moral. Dagegen ist der Hafen von Chongjin in Nordkorea grauenhaft, weil man auf dem Schiff bleiben muss, und selbst wenn man mal runter darf, sieht man nur völlig verängstigte und entsetzlich arme Menschen. In Kolumbien oder Ecuador gibt es Häfen, in denen man nachts Automatikwaffen rattern hört, wo man manchmal auch blinde Passagiere entdeckt, die an den Seilen aufs Schiff klettern, und wo die Chancen hoch sind, dass man in den Hafenkneipen zu Hackfleisch verarbeitet wird. Aber jeder Seemann wird diese kleinen Unannehmlichkeiten dem Höllenloch im Land des Kim Jong-il (beziehungsweise jetzt seines Sohnes Kim Jong-un) vorziehen.
Afrikanische Häfen sind sehr unterschiedlich. Mombasa, unser nächster Hafen auf der Route, galt als recht sicher; bewaffnete Wächter patrouillierten entlag der Zäune und zumindest einfache Sicherheitsmaßnamen waren vorhanden. Im Schutz der Nacht konnten sich jedoch Einwohner in den Hafen schleichen und ihre Skiffs mit Twistlocks beladen, die sie dann für 25 Dollar das Stück an die Schiffe zurück verkauften. In der Dritten Welt gibt es keinen völlig sicheren Hafen.
Ich war während des Bürgerkriegs in Sierra Leone und sah Menschen, die uns von der Küste zuwinkten. Man konnte sehen, dass Rebellen ihre rechten Hände abgehackt hatten, weil sie zur Wahl gegangen waren. Ich war in Monrovia, Liberia, eine Woche bevor Charles Taylor die Macht übernahm. Das war eine andere Welt: Als wir in den Hafen fuhren, bemerkten wir, dass es keinen Strom gab, von einigen wenigen Stellen abgesehen, an denen Notstromgeneratoren liefen. Die westafrikanischen Friedenstruppen kamen an Bord und forderten erst einmal Schmiergelder. Es gab überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen mehr. Hunderte Menschen standen am Pier und warteten auf eine Chance, uns Briefe zu übergeben, die manchmal nur auf die Rückseite von Streichholzheftchen gekritzelt waren: Lass mich hier, aber bring meine Familie nach Amerika. Einer der Männer
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