Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
stecken.
Der Anführer blickte zu mir auf. »Da, siehst du? Du wirst hier in Somalia sterben und ich in Amerika.«
»Was zum Teufel meinst du damit?«
»Du stirbst hier. Ich sterbe in deiner Heimat.«
Er wollte damit sagen, dass sie mich in somalischen Gewässern umbringen würden, damit meine Seele nicht mehr von dort weg konnte. Und dass die Amerikaner ihn umbringen würden. Dann würden unsere beiden Seelen einfach ihre Plätze tauschen. Er würde durch eine amerikanische Kugel sterben und ich durch eine somalische.
»Aber ich habe sie unter Kontrolle«, sagte er. »Wenn sie irgendwas versuchen, machen wir ein Selbstmordattentat.«
Ich schaute erst ihn an, dann glitt mein Blick weiter zu den offenen Dieselkanistern auf dem Vordeck. Verdammte Scheiße, dachte ich , vielleicht haben sie den Diesel gar nicht als Treibstoff für die Rückfahrt nach Somalia mitgenommen. Vielleicht wollen sie damit ein Kriegsschiff in die Luft jagen, wie das al Qaida mit der USS Cole gemacht hat .
Danach stellten sie, sobald sie sich bedroht fühlten noch mehr offene Kanister auf das Deck.
Der Anführer startete den Motor, und wir fuhren los. Nach ein paar Stunden begann das Auspuffrohr Funken zu sprühen. Das Ding war überhitzt. Die Piraten palaverten eine ganze Weile, was zu tun sei. Schließlich schnitten sie einen Teil der Isolation weg, die um den Auspuff lag, und gossen Wasser darüber.
Wenn sie mit den Dieselkanistern auch nur in die Nähe des Auspuffs kommen, sagte ich mir , brauche ich keine Angst mehr zu haben, eine Kugel in den Kopf zu bekommen. Dann fliegen wir mit einem Feuerball in die Luft.
»Ich kam immer wieder auf den Mond zurück«, erzählte mir Andrea später über diese quälende Zeit. »Wenn ich ihn anschaute, wusste ich, dass auch du ihn anschauen würdest. Und dann sagte ich: ›Richard, du bist dort irgendwo unter dem Mond und ich bin hier und doch bei dir.‹« Freunde in Florida riefen Andrea über Bildtelefon an, und dann brachten sie unter dem Nachthimmel mit Champagner einen Toast auf den Mond aus. »Der ist für Rich.« Jede Nacht vom Anfang meiner Gefangenschaft an blickte Andrea zu dem weißen Erdtrabanten am Nachthimmel hinauf. Von unserem Schlafzimmerfenster aus konnte sie sich immer vergewissern, dass der Mond noch da war. »Richard, ich bin hier und bei dir«, sagte sie. Und das machte sie jede Nacht vor dem Einschlafen.
Auf der anderen Seite der Erde konnte ich nur durch die Luke des Rettungsboots einen Blick auf den Mond werfen.
Andreas Freundin Amber legte sich in dieser Nacht neben sie. Sie witzelten darüber, dass sie sich hier im hippen Vermont befanden, wo man so etwas tun konnte, ohne großes Aufsehen zu erregen. Sie breiteten meine Fleecejacke über sich aus und redeten einfach miteinander – über alles, nur nicht über die Krise, in der sie steckten: die netten Erinnerungen an die Zeit, in der sie in Boston zusammen gewohnt hatten, die Autos, mit denen ich sie abgeholt hatte, als sie noch in der Schwesternausbildung gewesen waren, die romantischen Bootsfahrten, die Andrea und ich auf Lake Chamberlain unternahmen und bei denen wir nachts manchmal nackt ins Wasser sprangen. Erst am frühen Morgen, kurz bevor die Sonne aufging, wachten sie auf und sprachen über Andreas Ängste. »Amber wurde mein Fels in der Brandung, mein Richard-Ersatz«, scherzte Andrea.
Die einzige Unstimmigkeit entstand, als Amber auf meiner Bettseite schlafen wollte. Andrea verweigerte es ihr: »Amber, kommt nicht in Frage! Darüber streite ich mich nicht mit dir. Ich bin seine Frau, also wird gemacht, was ich will.« Darüber mussten sie lachen. Aber meistens versuchten sie, sich vorzustellen, was ich in genau diesem Augenblick auf der anderen Seite der Erde durchmachen musste. Das jedoch war schwer vorstellbar. Schließlich konnte ich selbst kaum glauben, was mit mir geschah.
Andreas Tiefpunkt war immer kurz vor Sonnenaufgang. Um diese Zeit wurde sie von ihren »Allein-Gedanken« heimgesucht: Was ist, wenn er nicht überlebt? Was mache ich dann? Dieser Samstagmorgen war keine Ausnahme.
Amber wachte auf, und sie setzten ihre Gespräche fort. »Was wird, wenn er es nicht überlebt, Amber? Was soll ich dann machen? Ich weiß nicht, ob ich ohne ihn leben kann. Er ist der Boden für meine Wurzeln. Und was wird aus den Kindern? Kann ich das Haus behalten? Und, mein Gott, ich müsste wieder einen Vollzeitjob annehmen!«
Amber lachte.
»Er muss entsetzlich müde sein, die Hitze ist bestimmt
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