Höllental: Psychothriller
gestürmt. Der Anblick in der Diele war grauenhaft gewesen. In Romans Kopf hatte sich eine Art Schott geschlossen. Es kapselte seine Emotionen ab. Im Moment spürte er nur den Wunsch nach Rache. Den Wunsch zu töten. Der Schock und die Trauer würden später kommen, aber jetzt gab es für ihn nur eines: Er musste den Mann verfolgen, der das getan hatte.
»Und gerade deswegen gehe ich«, sagte Roman nachdrücklich. »Jede Minute, die ich verschwende, ist Mara Landau länger in seiner Gewalt. Wenn sie den Sto llen erreichen, braucht er sie nicht mehr.«
Seinem Freund Tobias Schollerer konnte er nicht mehr helfen. Er war tot. Als Roman in die Diele gestürzt war, hatte er den leblosen Körper ausgestreckt auf der Treppe vorgefunden. Torben Sand hatte ihm mit dem Eispickel den Schädel gespalten. Es war sehr schnell gegangen, hatte der Notarzt gesagt. Schmerzen hatte Tobias nicht gespürt. Doch das war kein Trost. Roman hatte seinen einzigen Freund verloren. Und er selbst trug Schuld daran, denn er hatte Tobias hierhergeschickt, um den Rucksack zu holen.
Was hatte Sand hier gewollt?
Diese Frage hatte Leitenbacher an ihn gerichtet. Roman hatte nicht lange darüber nachdenken müssen. Das Medaillon. Es gehörte Sand, und er wollte es wiederhaben. Natürlich hatte er es hier gesucht, wo sonst. Er konnte ja nicht wissen, dass Roman es nach wie vor mit sich herumtrug. Es steckte in der vorderen Tasche seiner Hose.
Leitenbacher hatte Roman darüber aufgeklärt, um wen es sich bei Torben Sand wirklich handelte. Der Kommissar hatte ihm ein Foto gezeigt, auf dem Roman Sand sofort erkannt hatte. Er war jetzt dicker, das Gesicht aufgeschwemmt, aber er war es. Er war kein Privatdetektiv, sondern ein amerikanischer Elitesoldat auf Erholungsurlaub. Ein Kriegsgeschädigter, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Laura Waiders Tod zu rächen.
Roman verstand nicht, wie er auf den Mann hatte reinfallen können. Er hatte Sand für vertrauenswürdig gehalten. Hatte ihn sogar sympathisch gefunden.
»Sie wissen doch gar nicht, ob es stimmt, was der Junge in Augsburg gesagt hat. Er kann fantasiert haben«, redete Leitenbacher auf Roman ein.
Roman schüttelte den Kopf. »Hat er nicht, außerdem ergibt es einen Sinn. Laura Waider hat etwas da oben in dem Stollen versteckt. Sand will wissen, was es ist. Und er tut alles, um es in die Hände zu bekommen. Er hat Mara. Ich muss ihn stoppen.«
»Okay. Aber warten Sie doch wenigstens auf den Polizeibergführer. Der ist gleich hier. Der Mann ist für so etwas ausge bildet.«
Roman nahm den leichten Rucksack vom Boden auf und schnallte ihn sich auf den Rücken. »Nein, ich gehe sofort. «
»Sie sind ein stures Arschloch«, schimpfte Leitenbacher. »Wenn Sie sterben, ist dem Mädchen nicht geholfen.«
Roman sah den Kommissar an. Leitenbacher war wütend. Er wollte einfach nicht verstehen, dass es nur einen gab, der Mara dort oben helfen konnte. Roman kannte sich wie kein Zweiter in der Klamm aus, außerdem war er schneller als die meisten anderen. Es mochte ja sein, dass er gegen einen Mann wie Sand hier unten keine Chance hatte, aber das Blatt wendete sich, sobald sie sich in den Bergen befanden. Das da oben war sein Revier. Sogar das Wetter kam ihm zugute. Bei dem dichten Schneefall sah man so gut wie nichts. Andererseits machte genau das Roman Sorgen. Mara könnte abstürzen.
Nein. Er durfte keine Sekunde mehr zögern.
»Ich gehe jetzt. Wenn Sie mich aufhalten wollen, müssen Sie mich verhaften.«
Roman packte einen der neuen Eispickel aus dem Laden, wandte sich um und lief los.
Leitenbacher ließ ihn gehen.
Torben Sand stieß sie immer wieder voran. Seit sie aufgebrochen waren, hatten sie keine Pause eingelegt. Wenn Mara an besonders steilen Steigungen oder tückischen Stellen langsamer wurde, spürte sie seine Hand im Rücken und hörte seine nach Atem ringende Stimme.
»Los, weiter!«
Er war schlechter in Form als sie, aber Mara litt unter den Nachwirkungen des Schocks. Es kam ihr so vor, als schwebte sie ein Stück neben sich, als gingen ihre Emotionen sie nichts mehr an. Ohne zu zögern, hatte Sand den Mann in Romans Wohnung mit dem Eispickel getötet. Mara hatte nicht hingesehen, aber sie hatte das Geräusch gehört, mit dem das Metall in den Kopf eingedrungen war. Mara wusste nicht, wer der Getötete war. Er hatte ihr helfen wollen und war deswegen gestorben.
Sand hatte sie gezwungen, eine der wetterfesten Jacken aus Romans Wohnung anzuziehen. Sie war ihr viel zu groß,
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