Höllental: Psychothriller
nicht aus den Augen. Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg, doch die einzige Fluchtmöglichkeit, die metallene Tür in den Laden, war ihm von dem Fremden versperrt.
Als er zwei Meter zurückgewichen war, hörte Tobias neben sich ein Geräusch. Gleichzeitig nahm er eine Bewegung wahr. Er wurde abgelenkt und sah zu Boden. Dort lag eine Frau. Sie war gefesselt und geknebelt und starrte aus panisch geweiteten Augen zu ihm auf.
Eben noch hatte Tobias an Einbrecher gedacht, doch plötzlich wurde ihm klar, was sich hier abspielte. Der Mann, der ihn mit dem Eispickel bedrohte, war der, hinter dem Roman her war.
Tobias hörte das Zischen. Er duckte sich, doch diesmal hatte der Mann gar nicht nach seinem Kopf gezielt.
Die Spitze des Pickels grub sich tief in den Muskel seines Oberschenkels und drang durch bis auf den Knochen. Tobias schrie auf, packte nach dem Schaft des Pickels und ging zu Boden. Der Mann trat ihm mit dem Fuß vor die Brust und stieß ihn weg. Die gezahnte Spitze des Pickels riss ein großes Stück Fleisch aus seinem Oberschenkel. Tobias fiel gegen die geschlossene Haustür und dann mit dem Gesicht voran auf den Boden. Der Schmerz war gewaltig. Für einen Moment war er wie gelähmt. Neben ihm lag die Frau. Ihr Gesicht war keine zehn Zentimeter entfernt. Sie sah ihn an.
Tobias spürte, wie der Fremde zum alles entscheidenden Schlag ausholte. Er wusste, er hatte diesen Kampf verloren.
Dann passierte etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Die Frau neben ihm stieß hinter ihrem Knebel einen dumpfen Schrei aus. Sie zog ihre Beine an und stieß mit aller Kraft zu.
Sie traf den Mann seitlich am Knie. Der gab einen überraschten Laut von sich und taumelte gegen die Wand und ging auf die Knie. Tobias begriff, dass die Frau ihm eine Chance verschafft hatte. Also kämpfte er gegen den Schmerz und das Taubheitsgefühl in seinem Bein an und drückte sich auf die Ellenbogen hoch. Er wusste, er würde mit der grauenhaften Verletzung nicht stehen oder gehen können. Hektisch sah er sich nach etwas um, das er als Waffe einsetzen konnte. Ihm fiel die Pistole ein, die er für Roman hatte mitbringen sollen. Doch die befand sich unerreichbar in dem Nachtschrank neben Romans Bett. Im Obergeschoss.
Die Schusswaffe war seine einzige Chance. Verletzt konnte er sich nicht auf einen Kampf mit diesem Ungeheuer einlassen. Er kroch auf die Treppe zu.
Aber schon, als er sich die erste Stufe emporzog, spürte Tobias, dass er es nicht schaffen würde. Aus der grässlichen Wunde in seinem Oberschenkel verlor er viel zu viel Blut. Seine Sinne schwanden bereits.
Er hörte die Frau strampeln und hinter ihrem Knebel schreien. Dann gab es einen dumpfen Schlag, und sie war still.
Tobias streckte beide Arme aus, krallte die Hände in den Teppich, mit dem die Treppe ausgelegt war, und zog sich eine weitere Stufe hinauf.
Hinter ihm erklangen schwere Schritte.
Roman ließ sein Handy sinken.
Er erreichte Tobias nicht. Verdammt, warum ging er nicht ans Telefon?
Roman würde es nicht schaffen, bis sechs am Klammeingang zu sein. Seit fünf Minuten fuhr er auf der engen Landstraße hinter einem Schneepflug her. Hier gab es keine Möglichkeit zu überholen, und der Fahrer des Schneepflugs konnte auch nicht ausscheren. Roman blieb nichts anderes übrig, als langsam hinterherzufahren.
Das orangefarbene Einsatzlicht des vorausfahrenden Unimogs verlieh den Schneeflocken eine gespenstische Färbung. Roman wurde immer nervöser und schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Egal, wen er anzurufen versuchte, niemand nahm ab. Tobias, Mara, Sand …
Plötzlich fiel ihm Leitenbacher ein. Vielleicht würde der Oberkommissar sich ja bereit erklären, zum Klammeingang zu fahren und Tobias Bescheid zu geben.
Schnell wählte Roman dessen Nummer.
Schon nach dem zweiten Klingeln war Leitenbacher dran. »Jäger«, begann er, bevor Roman zu Wort kam. »Wo stecken Sie?«
»Ich hänge hinter einem Schneepflug. Ungefähr zehn Minuten noch, dann bin ich im Ort.«
»Kommen Sie zu Ihrem Laden. So schnell wie möglich. Ich warte dort auf Sie«, rief Leitenbacher und legte auf.
Höllentalklamm
Vergangenheit
S trömender Regen.
Ein Wetter, bei dem kein vernünftiger Mensch in die Berge aufbricht. Weil ich aber die Einsamkeit suche, weil ich zurzeit keine Menschen um mich ertrage, steige ich trotzdem auf. Wenn man mich schon zwingt, in den Bergen Deutschlands Urlaub zu machen – wegen eines ›Lagerkollers‹, wie der Scheißmilitärpsychologe
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