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Höllental: Psychothriller

Höllental: Psychothriller

Titel: Höllental: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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trotzdem war Mara froh, sie zu tragen. Der Wind war mörderisch kalt. Da ihr der Kragen der Jacke zu weit war, lag er nicht eng genug an. Immer wieder fuhr der Wind hinein und ließ sie erschauern. Ihre Hände hatte sie in die Ärmel zurückgezogen. Nur wenn sie ausrutschte, stieß sie sie hervor, um irgendwo an dem kalten Fels Halt zu suchen. Und da sie nicht die richtigen Schuhe trug, rutschte sie auf dem glatten Weg häufig aus. Ein paarmal war sie bereits auf den Knien gelandet. Mara war sich darüber im Klaren, dass es wahrscheinlicher war abzustürzen, als von Sand getötet zu werden.
    Bei jedem Schritt dachte sie darüber nach, wie sie ihm entkommen konnte. Er lief dicht hinter ihr, aber nicht so dicht, dass sie ihn einfach hätte schubsen können. Außerdem trug er den Eispickel, mit dem er bereits einmal getötet hatte.
    Nicht mehr lange, dann würden sie den Stollen erreichen. Was dann? Was, wenn sie dort fanden, was Laura versteckt hatte? Würde Sand sie gehen lassen? Obwohl Mara sich an diese Hoffnung klammerte, war ihr gleichzeitig klar, dass sie naiv war. Sand hatte alle aus ihrer Clique getötet. Armin, Bernd, Ricky … Warum sollte er sie verschonen?
    Nein. Darauf durfte sie nicht vertrauen. Auf diesem schmalen, rutschigen Weg hatte sie keine Chance gegen ihn. Aber wenn sie abwartete und ruhig blieb, bot sich ihr vielleicht in dem Stollen eine Möglichkeit.
    Doch noch lag vor ihnen das schwierigste Stück des Aufstiegs.
    Der Weg führte durch die senkrecht aufragende Nordwand des Waxensteins und war an dieser Stelle nicht mehr als ein schulterbreiter Pfad. Mara wusste, wie dieser Weg und der Stollen entstanden waren. Vor Generationen war er aus dem harten Muschelkalk geschlagen worden, um den Bergarbeitern eine wintersichere Klammumgehung zu bieten. Bergbau wurde hier bereits im 19. Jahrhundert betrieben, besonders intensiv aber erst während des Ersten Weltkrieges, als die Förderung von Molybdän kriegswichtig wur de.
    Mara schob sich mit dem Rücken an den Fels gepresst um eine Kehre. Der Wind blies böig von Norden und drückte Schnee gegen die Felswand; es kam zu Verwirbelungen und Fallwinden. Sie klammerte sich an den Fels und verharrte. Die Angst vor diesem Wegstück ließ sie erstarren.
    »Weiter«, rief Sand gegen den Sturm an.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das geht nicht … Wir werden abstürzen.«
    Sand schloss zu ihr auf. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er den Weg. Schließlich hob er den Eispickel.
    »Du hast die Wahl. Entweder du gehst weiter, oder …« Er vollendete die Drohung nicht, aber das war auch nicht nötig. Mara wusste, dass er nicht bluffte. Notfalls würde er den Stollen eben allein suchen.
    Sie nahm all ihren Mut zusammen und tat den nächsten Schritt.
    Gegen die Felswand gepresst schob Mara sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Sand folgte ihr. Der Fels war vereist und bot kaum Halt. Verzweifelt suchte Mara mit den Händen nach Kerben und Spalten. Sobald sie eine fand, krallte sie die Finger hinein und konnte dann kaum wieder loslassen. Von hinten drückte der Wind und überschüttete sie mit Schnee.
    Eine Viertelstunde lang arbeiteten sie sich so vorwärts.
    Maras Beine und Arme begannen zu zittern, ihre Kraft verließ sie. Es war der reine Wahnsinn, bei dem Wetter diesen exponierten Weg zu begehen. Sie spürte, dass sie es nicht schaffen würde. Wie weit war der Stollen noch entfernt? Sie wusste es nicht. Sie war ja erst zweimal hier gewesen.
    Weiter. Sie hatte keine Wahl.
    Vorsichtig. Ganz vorsichtig.
    Unter dem Schnee war eine Eisschicht verborgen. Mara machte einen größeren Schritt und schob ihre Fußspitze zwischen zwei hervorstehende Steine. Als sie ihr Gewicht verlagerte, spürte sie, wie ihr Fuß trotzdem langsam wegrutschte.
    Verzweifelt suchte sie mit den Händen einen Halt, fand aber keinen. Immer weiter rutschte ihr Fuß Richtung Abgrund.
    Eine heftige Windböe zerrte sie von der Wand fort.
    Mara fiel.
    Voran.
    Immer weiter in diese weiße, wirbelnde Welt, in dieses Heulen und Tosen, die Gedanken nur ausgerichtet auf den nächsten Schritt, den nächsten Höhenmeter.
    Voran.
    Nach einer Dreiviertelstunde schnellen Aufstiegs brannte seine Lunge, aber Roman Jäger ließ nicht nach. Mit jedem seiner langen Schritte holte er weitere Kraftreserven aus seinem Körper. Den Kopf gesenkt, vor den Augen die Schneebrille zum Schutz vor den windgepeitschten Flocken, so drang er immer weiter in die unwirtliche Bergwelt vor. All die Jahre harter Schinderei

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