Höllental: Psychothriller
kehrte dann zu ihrem Platz an der Fensterbank zurück.
Bernd ließ sich auf die Couch fallen. Ricky stand noch in der Tür. Schweigen breitete sich aus. Eine unheilvolle Ruhe, die mit jeder Sekunde unerträglicher wurde, so tief, dass das Ticken der übergroßen Bahnhofsuhr über der Theke zu einem infernalischen Geräusch wurde.
Alles, was in diesen Minuten nicht gesagt wurde, brannte sich tief in ihre Seelen ein, und Mara begriff zum ersten Mal in ihrem zweiundzwanzigjährigen Leben, wie schwer unausgesprochene Worte wiegen konnten.
»Und jetzt?«, fragte sie schließlich.
Zwei Worte, die wie eine Drohung im Raum standen. Für einen kurzen Moment dachte Mara daran, den Jungs von der merkwürdigen SMS zu erzählen, die sie am dem Abend erhalten hatte, als Laura in die Klamm gesprungen war. Sie tat es nicht. Die Jungs hatten anscheinend keine SMS bekommen, sonst hätten sie es längst ausgeplaudert, und Laura musste einen Grund dafür gehabt haben, warum sie nur ihr dieses eine Wort geschickt hatte.
Hinauf!
»Möchte jemand etwas trinken?«, fragte Ricky. Er schien bemüht, die Situation zu entschärfen.
»Ein Bier wär nicht schlecht«, sagte Armin.
»Für mich auch«, kam es von Bernd.
Mara schüttelte den Kopf.
Ricky ging an die Bar, nahm drei Flaschen Beck’s aus dem Kühlschrank, öffnete sie und verteilte zwei an seine Freunde. Schließlich ließ er sich Bernd gegenüber auf die Ledercouch fallen.
»Auf Laura, die wir nie vergessen werden«, sagte er und hob die Flasche.
Die drei Jungs tranken gleichzeitig. Mara sah ihnen zu und spürte Wut in sich aufsteigen.
»Was seid ihr nur für Heuchler«, sagte sie, nachdem die Jungs die Flaschen abgesetzt hatten.
»Jetzt mach aber mal halblang«, sagte Ricky. »Wir sind alle geschockt und trauern um sie. Nicht nur du.«
»Ganz sicher?« Ihr Blick flog zu ihm. »Gerade du hast dich in den vergangenen Monaten richtig herzlich um sie gekümmert.«
»Das muss ich mir von dir nicht sagen lassen«, entgegnete Ricky. »Sie hat mit mir Schluss gemacht, nicht umgekehrt. Sie hat sich zurückgezogen, von uns allen, und ich sehe nicht ein, wieso ich …«
»Leute«, mischte sich Armin mit lauter Stimme ein. »Wir können uns jetzt gegenseitig an den Kragen gehen, uns dann trennen und nie wiedersehen. Das wäre der leichteste Weg für uns alle. Und eine feige Flucht, nichts anderes. Ich glaube aber nicht, dass Laura das gewollt hat.«
»Woher willst du wissen, was Laura gewollt hat?«, fuhr Mara ihn heftig an. »Und mit Feigheit kennst du dich ja am allerbesten aus, wenn ich mich recht erinnere.«
»Du blöde Schlampe«, fauchte Armin.
»Aufhören.«
Alle zuckten zusammen und starrten Bernd an. Er hatte den lauten Schrei ausgestoßen. Wie ein Häufchen Elend hockte er in der Couch, die Hände um die Bierflasche geklammert, den Blick zu Boden gerichtet, während seine Augen erneut von einer Seite zur anderen huschten. »Wir haben ganz andere Sorgen, als uns zu streiten«, schob er leise nach. Dann hob er den Blick und sah einen nach dem anderen an. Am Ende blieben seine Augen an Mara haften.
»Was meinst du damit?«, fragte Ricky.
Mara wusste genau, was Bernd damit meinte, und sie übernahm es, für ihn zu antworten. »Er meint damit, dass man es ja wohl als Zeichen werten kann, dass Laura ausgerechnet von der Klammbrücke gesprungen ist.«
»Zeichen? Was für ein Zeichen? Und für wen?«, fragte Ricky.
Mara konnte es nicht fassen. Empathisch veranlagt war Ricky noch nie gewesen, aber konnte es wirklich sein, dass er dermaßen abgebrüht war und keinerlei Schuld bei sich sah?
»Für uns, du dämliches Arschloch. Für jeden einzelnen von uns. Weil wir sie im Stich gelassen haben. Wir haben unserer besten Freundin nicht geholfen, und jetzt ist sie tot.«
»Sie wollte sich doch gar nicht von uns helfen lassen«, hielt Ricky ihr entgegen. »Ich habe es weiß Gott versucht. Oft genug. Sie hat mich einfach abblitzen lassen.«
»Und darüber wunderst du dich? So wie du dich ihr gegenüber verhalten hast?«
»Ach, jetzt bin ich an allem schuld, oder was? Ich habe Laura geliebt, und es hat mir das Herz gebrochen, als sie mit mir Schluss gemacht hat.« Theatralisch legte Ricky die linke Hand auf seinen Brustkorb. In der rechten hielt er weiterhin die Bierflasche.
»Es ist aber verdammt schnell geheilt«, sagte Bernd und warf ihm einen Blick zu, der Mara Angst machte. Solch einen Blick hatte sie bei dem schüchternen, zurückhaltenden Bernd Lindeke noch nie
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