Höllental: Psychothriller
Streit, wenigstens hatte Mara es so empfunden. Seit dem Tag in der Klamm war ihre Beziehung ohnehin abgekühlt, und sie hatten seitdem auch nichts mehr gemeinsam unternommen. Lauras Freitod führte nun zum endgültigen Bruch. Mara erschien es so, als wolle jeder nur noch mit möglichst heiler Haut aus der Sache herauskommen. Für Ricky und Armin galt das ganz sicher, bei Bernd zweifelte Mara. Er machte den Eindruck, als würde er selbst Lauras Tod rächen wollen. Den Blick, den er Ricky zugeworfen hatte, war sehr aggressiv gewesen.
Hinter Mara schlug eine Autotür zu.
Erschrocken fuhr sie herum.
Eine Frau lief von ihrem Wagen zu einem Hauseingang hinüber. Sie trug ein kleines Kind auf dem linken Arm und warf ihr einen skeptischen Blick zu.
Mara entspannte sich etwas.
Plötzlich fiel ihr die Gestalt in dem Auto ein. Die vor Lauras Wohnung so reglos dagesessen und ihr hinterhergestarrt hatte. An dem Abend hatte Mara auch schon Angst verspürt.
Sie setzte ihren Fußmarsch fort. Um die nächste Ecke noch, dann wäre sie zu Hause. Nach dem Treffen bei Ricky war sie total durcheinander gewesen, hatte nicht mehr klar denken können und sich wie paralysiert gefühlt. Weil körperliche Anstrengung immer half, war sie ins Fitness-Studio gefahren und hatte trainiert. Auf eine gewisse Art und Weise hatten das Schwitzen und Kämpfen auch geholfen. Ihr Kopf war jetzt wieder klarer. Sie hatte sich dafür entschieden, den kurzen fünfminütigen Weg vom Parkplatz des Studios bis zu ihr nach Hause zu Fuß zu gehen. Dabei von solchen Verfolgungsängsten überfallen zu werden, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie sehnte sich danach, sich in ihrer Wohnung einzuschlie ßen. Dort würde sie sicher sein.
Warum musste Bernd auch unbedingt diesen Gedanken in ihren Kopf pflanzen?
Hatte er vielleicht sogar Recht damit?
Konnte es möglich sein, dass Lauras Schatten ihr aus der Höllentalklamm in ihr Leben hier in der Stadt gefolgt war? Und dass dieser Schatten jetzt hinter ihnen her war? Oder, noch viel schlimmer, dass dieser Schatten Laura getötet hatte? War es am Ende vielleicht doch kein Selbstmord gewesen?
Was wussten sie schon?
Eigentlich nur das, was Bernd ihnen erzählt hatte. Laura war von der Eisernen Brücke in die Klamm gesprungen. Ob es jemanden gab, der das beobachtet hatte und es bestätigen konnte, wussten sie nicht. Unwillkürlich musste Mara an Lauras Eltern denken, vor allem an ihre Mutter. Petra Waider. Mit ihr hatte Mara sich immer gut verstanden. Sie war eine liebevolle, aber nicht sehr durchsetzungsstarke Frau. Sowohl Laura als auch Petra hatten oft unter dem herrischen Friedhelm Waider gelitten. Zu Mara war er immer ausgesucht höflich gewesen. Aber manchmal hatte er sich mit seiner Familie allein geglaubt, obwohl Mara noch in Lauras Zimmer gewesen war, und dann hatte sie seine andere Seite kennen gelernt. Friedhelm war ein Choleriker. Wenn nicht alles so lief, wie er es sich vorstellte, wurde er schnell laut.
Mara hätte längst zu den Waiders fahren sollen. Gleich nach der Nachricht von Lauras Tod hätte sie das Gespräch mit Petra Waider suchen müssen. Die arme Frau war sicher total verzweifelt. Keine Mutter sollte ihr Kind zu Grabe tragen müssen. Und in diesem Fall war der letzte Gang besonders schwer, weil Laura sich selbst getötet hatte. Die Schmerzen, die ihre Eltern empfanden, mochte und konnte Mara sich nicht vorstellen. Wahrscheinlich saßen sie zu Hause und wälzten Fragen hin und her, auf die sie keine Antworten fanden.
So wie auch Mara.
Provinz Wardak, Afghanistan
Vergangenheit
H ängt man nur lange genug mit dem Kopf nach unten, wird der Schädelinnendruck durch den Blutstau so groß, dass die Augen hervorquellen, Gehirnzellen absterben und klares Denken kaum noch möglich ist. Außerdem erhöht sich die Empfindlichkeit in dem extrem durchbluteten Gewebe, sodass Ohrfeigen oder das Reißen am Ohrläppchen als besonders qualvoll empfunden werden.
Schlimmer wird es aber noch, sobald der Körper in die Horizontale verbracht wird. Unglaublich dieser Schmerz, wenn sich die Gefäße in den unteren Extremitäten wieder mit Blut füllen. Schlägt man einem derart Misshandelten dann noch mit einer Ledergerte auf die Fußsohlen, brechen beinahe jeder Wille und jedes Schweigen.
Meinen Willen haben sie noch nicht gebrochen. Folter muss mehr sein als nur Schmerz. Folter muss auch Erniedrigung sein, aber das haben sie noch nicht begriffen. Mich gegen den Schmerz hinter einer Mauer zu
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